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Schatten der Wahrheit

Schatten der Wahrheit

Titel: Schatten der Wahrheit
Autoren: Martin Delrio
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T eil 1 Pirsch
    November - Dezember 3133
    November 3133, Trockenzeit
    Ian Murchison, der MedTech des Balfour-Douglas-Bohrturms 47, lehnte nach einem langen Arbeitstag an der Reling der Aussichtsplattform der Station und schaute in den Nachthimmel. Hier in den niederen Breitengraden an Kearnys Oilfieldsküste war es trotz der Jahreszeit warm. Die Landmasse des Kontinents wirkte nur wie ein dunkler Schatten am östlichen Horizont, und im Westen tauchten die letzten verblassenden Schatten des Sonnenuntergangs das Meer in violettes Licht.
    In dieser Nacht stand kein Mond am Himmel und überstrahlte den Rest des Sternenzelts. In der Nacht zuvor hatte Murchison einen Meteorschauer gesehen, für diese Jahreszeit ein ungewöhnliches Ereignis. Vielleicht, vermutete er, war es der Ausläufer vom Schweif eines kleinen, nicht kartographierten Kometen in dessen langer, elliptischer Bahn um Northwinds Sonne, der die Atmosphäre alle paar Jahrhunderte nur einmal streifte. Aber heute Nacht sah er bloß das gewohnte Funkeln der Sterne, deren Licht sich in der schwülen Meeresluft brach.
    Es war ein langer, aber auch ein langweiliger Tag gewesen. Doch das störte Murchison nicht. Ab und zu ein bisschen Langeweile konnte ihm durchaus gefallen.
    Auf einer Ölplattform waren Tage ohne Langeweile in der Regel das Ergebnis hässlicher Arbeitsunfälle oder plötzlicher Krankheitsausbrüche, und Bal-four-Douglas 47 lag an einem unbewohnten Küstenstrich, weit entfernt von einem guten Krankenhaus. Selbst der Hubschrauber zum Abtransport von ernsthaft kranken oder verletzten Besatzungsmitgliedern hatte bei der Ankunft drei Stunden Flug hinter sich - was bedeutete, dass Murchisons Patienten in den meisten Fällen bereits entweder stabil oder tot waren, bevor der Transporter eintraf. Balfour-Douglas 47 hatte keinen derartigen Notfall mehr erlebt, seit Barry O'Maras Blinddarmentzündung mitten in einem Orkan der Windstärke 10, und Murchison hatte es nicht eilig, den nächsten mitzumachen.
    Er stieß sich von der Reling ab. Lange genug hatte er die Nachtluft genossen. Jetzt wurde es Zeit, zurück in sein winziges Büro zu gehen, die Prellungen und Schnittwunden des vergangenen Tages festzuhalten, alle Schränke und Schubladen abzuschließen und schlafen zu gehen. Falls sich noch irgendwelche medizinischen Probleme auftaten, würde ihn jemand wecken.
    Ein leises Geräusch hallte durch die Nacht, das Klirren von Metall auf Metall. Murchison war mit allen gewohnten Geräuschen, die an einem Tag auf der Bohrplattform entstanden, vertraut und blendete sie zu jeder Tages- und Nachtzeit automatisch aus, sodass er ihre stetige Klangkulisse als Stille empfand. Das jedoch war keines der üblichen Geräusche gewesen. Er blieb stehen und lauschte, aber das Klirren wiederholte sich nicht.
    Er zuckte die Achseln. Vielleicht hatte jemand auf einem der anderen Decks der Plattform etwas fallen lassen. Hier draußen auf dem Meer waren Geräusche über weite Strecken zu hören, und das Klirren konnte von überall auf der Bohrstation gekommen sein. Oder möglicherweise war es auch nur das Geräusch der Metallstruktur der Plattform selbst gewesen, die unter der ständigen Belastung nachgab. In dem Fall hätte es bedeutet, dass in ein, zwei Tagen irgendetwas an Bord brechen würde, vermutlich ohne Vorwarnung, und Murchison würde den Pechvogel zusammenflicken müssen, den es dabei erwischte.
    Was auch immer, dachte er. Heute Nacht konnte er ohnehin nichts daran ändern. Er setzte seinen Weg fort.
    Murchisons Büro war ein kleiner, fensterloser Raum auf dem oberen Verwaltungsdeck der Plattform, gleich neben einem Sprec hzimm er mit einer einzelnen Koje. Beide Räume waren wie üblich verlassen. Das Büro enthielt nicht viel Einrichtung: einen Schreibtisch, einen Computer und ein Datenterminal. Falls Murchison es mit Problemen zu tun bekam, mit deren Behandlung er nicht vertraut war, konnte er sie über die Datenverbindung nachschlagen oder bei Bedarf mit Experten besprechen. Auf einem
    Metallregal stand ein kleiner Trividempfänger. Er schaltete einen Nachrichtenkanal ein und machte sich an die Arbeit. Mit halbem Ohr hörte er die Sportnachrichten - hauptsächlich Rugbyergebnisse -, während er auf dem Computer den Logschirm für den vergangenen Tag aufrief.
    07.45. Wilkie, Ted. Fußpilz. Behandelt mit Tropensalbe. Arbeitsfähig geschrieben.
    Auf dem Trividkanal begann zur vollen Stunde eine neue Nachrichtensendung mit den Schlagzeilen des Tages. Die Hauptmeldung
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