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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin
Autoren: Ines Thorn
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sie sich nach Hause. Sie achtete nicht auf den Schnee, nicht auf die Maskierten, die ihr hin und wieder begegneten.
    Als sie die Silberschmiede in der Hainstraße erreicht hatte, keuchte sie, als läge ein langer Lauf hinter ihr.
    Das Haus lag im Dunkeln. Nur aus der Werkstatt, die sich hinter dem Haus befand, drang ein Lichtschein.
    Priska trat an das Fenster der Werkstatt und drückte ihre Wange an die kalte, von Eisblumen bedeckte Scheibe.
    Ihre Wange schmerzte, und es dauerte, bis die Eisblumen unter ihrer Körperwärme schmolzen und einen Blick in das Innere der Werkstatt freigaben. Ein Tropfen Wasser rann ihr über die Wange.
    Eva stand vor einem Taufbecken und trug mit Stichel und Punzeisen Ornamente auf. Sie war vollkommen in ihre Arbeit versunken, als wäre nichts geschehen, als wäre sie nicht gerade erst einem Mordanschlag entgangen.
    Priska presste den Mund, die warmen roten Lippen gegen die Scheibe, schmeckte das Eis und den Dreck auf der Zunge. Wie konnte die Meisterin nach diesem Erlebnis zur Arbeit greifen?, fragte sie sich und versuchte Evas Gesichtsausdruck zu lesen.
    Als ob sie ihre Blicke spüren könnte, hob die Meisterin den Kopf und sah zum Fenster. Priska schrak zurück. Aberdie Silberschmiedin lächelte und winkte sie mit der Hand zu sich herein. Zögernd betrat Priska die Werkstatt.
    «Warum feierst du nicht?», fragte die Lehrmeisterin und deutete mit der Hand nach draußen. «Es ist Fastnacht.»
    Priska schaute die Meisterin verwundert an. Wie konnte sie jetzt ans Feiern denken? Warum klang ihre Stimme so ruhig und beherrscht, während Priskas Herz noch immer raste? Priska schüttelte den Kopf. «Bin fürs Feiern nicht gemacht», stammelte sie.
    Die Silberschmiedin nickte und setzte sich auf einen Schemel.
    «Der Meister ist weg. Für immer. Meine Stiefschwester Susanne ist mit ihm gegangen. Es gibt nun niemanden mehr, der sich um den Haushalt kümmert.»
    Priska suchte nach einem Trostwort, doch ihr fiel nichts ein. «Ich habe gesehen, was passiert ist, stand in einer Mauernische», erwiderte sie schließlich. Ihre Wangen brannten wie Feuer. «Ich wollte Euch helfen, wollte schreien, aber ich konnte nicht. Wie erstarrt habe ich dagestanden.»
    Eva winkte ab, als wäre es ganz und gar unwichtig, was und wen Priska gesehen hatte.
    «Hast du Angst?», fragte sie nur, und jetzt erst sah Priska, dass sie die Hände so verkrampft hielt, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Sie versuchte, ein tapferes Gesicht aufzusetzen.
    «Wovor? Er   … er», Priska wagte es nicht, den Namen des Meisters zu nennen. «Er ist doch weg, sagtet Ihr.»
    «Ja, er ist weg. Für immer. Die Werkstatt hat keinen Meister mehr. Wir sind schutzlos. Und eine Haushälterin haben wir auch nicht mehr, nun, da Susanne mit ihm gegangen ist.»
    Priska wusste nicht, was sie sagen sollte. All ihre Versuche, sich zu beruhigen, waren vergebens. Noch immer schlug ihr Herz hart und schnell, noch immer presste das Grauen ihre Kehle zusammen. «Wenn Ihr wollt, könnte ich den Haushalt übernehmen», stammelte sie schließlich.
    Eva seufzte und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. «Du bist eine gute Silberschmiedin. Vom Haushalt verstehst du nichts.»
    «Eine Arbeit ist wie die andere. Ich kann lernen», entgegnete Priska.
    Eva schüttelte den Kopf. «Einen Mann musst du dir suchen. Am besten einen aus der Zunft. Ich kann nichts mehr für dich tun. Die Werkstatt wird es nicht mehr lange geben.»
    Priska spürte, wie ein brennendes Gefühl durch ihre Eingeweide kroch. Vor sechs Jahren hatte die Silberschmiedin ihre Zwillingsschwester Regina und sie aus der Vorstadt geholt. Sie hatte dem Vater, dem Henker, ein paar Gulden auf den Tisch gelegt. Ab sofort wolle sie für Priska und Regina sorgen, hatte die Silberschmiedin gesagt, und die Zwillinge waren mit ihr gegangen, weil der Henker es so befohlen hatte. Später hatte Priska begriffen, warum sie in die Silberschmiede gekommen waren. Die Meisterin hatte beweisen wollen, dass nicht die Herkunft über einen Menschen entscheidet, sondern das, was er daraus macht. Solche neuen Gedanken wurden derzeit oft besprochen, doch Priska verstand nichts davon. Sich seinen eigenen Platz im Leben suchen. Was sollte das sein, der eigene Platz? Nun, das Leben hatte sie in die Silberschmiede gestellt. Und das Leben würde entscheiden, wie es mit ihr weiterging. Wenn die Meisterin sie nicht mehr brauchte und sie verheiratenwollte, so würde sie eben heiraten müssen. Doch das war nicht so
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