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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin
Autoren: Ines Thorn
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so groß war, dass es ihr beinahe den Atem nahm.
    Viel zu schnell und viel zu langsam zugleich hatte sie Zuckelhausen erreicht. Viel zu schnell, weil der Ritt auf diesem Pferd wie ein Geschenk war, das sie noch nicht bis zur Neige ausgekostet hatte. Viel zu langsam, weil alles in ihr, jede Faser ihres Körpers, zu Aron drängte.
    Sie ritt die Dorfstraße entlang und staunte wie jedes Mal, wenn sie hierher kam. Das Dorf wuchs. Überall wurden kleine Häuser gebaut. Die Zahl der Bewohner hatte sich inzwischen verdoppelt, und beinahe jede Woche kamen neue hinzu. Ein ganz besonderer Geist herrschte hier in Zuckelhausen. Die aus Leipzig Vertriebenen hielten zusammen. Einer half dem anderen beim Hausbau, bei der Aufsicht über die Kinder. Und alle waren guten Mutes. Sie hatten ein Zuhause verloren, aber eine Heimat gefunden. Eine Heimat im Glauben, im Leben.
    Priska ahnte nur, wie viel das war.
    Vor dem neuen Haus von Johann und Eva hielt sie an. Der Bau war noch nicht ganz fertig, es fehlten der Verputz und die Butzenscheiben. Im Moment waren die Fenster mit ölgetränktem Stoff verhängt, um die Kälte abzuschirmen, doch das Haus wirkte fröhlich. Rauch stieg aus dem Schornstein, hinter dem Haus hing Wäsche auf einer Leine, die Tür war blau gestrichen, die hölzernen Läden mit Blumenranken bemalt.
    Sie war kaum vom Pferd gesprungen, als die Tür aufflog und Eva herausstürmte.
    «Priska», rief sie. «Wie schön, dich zu sehen.»
    Sie umarmte die Schwägerin. «Bist du jetzt glücklich?», fragte Priska leise.
    «Ja. Das bin ich. Von Herzen glücklich sogar», raunte Eva zurück.
    Dann bewunderte sie kurz das Pferd, fragte nach dem Woher, doch Priska schwieg.
    Schließlich konnte sie ihre Ungeduld nicht länger bezähmen. «Ich muss zu Aron», sagte sie.
    Eva nickte. «Geh zu Melchior. Er ist bei ihm abgestiegen.»
    Sie zögerte, dann sprach sie weiter: «Er ist ein kluger und ansehnlicher Mann. Du hast es gut getroffen.»
    «Wirklich?», fragte Priska zurück.
    «Ja. Ich weiß, dass du mit Adam nie glücklich warst. Und ich gönne dir diese Liebe von ganzem Herzen. Nein, ich bin nicht gram, weil du meinen Bruder betrügst. Das nämlich tust du nicht. Froh bin ich, dass du zu ihm gehalten hast in guten und in schlechten Zeiten. Du bist eine gute Ehefrau, Priska, der Adam sehr viel zu verdanken hat.»
    «Warum sagst du das? Warum heute?», fragte Priska.
    «Weil du wissen sollst, dass ich alle deine Entscheidungen achten werde. Deshalb rede ich heute davon. Du sollst wissen, dass du mir lieb und teuer bist. Gleich, was morgen geschieht.»
    Priska verstand nicht genau, was Eva da sagte, doch sie wollte nun so unbedingt zu Aron, dass sie keinen weiteren Gedanken daran verschwendete.
    «Kümmerst du dich um das Pferd?», fragte sie.
    Eva nickte. «Geh. Lauf schon. Er wartet auf dich.»
    Und Priska lief. Sie rannte die Straße hinab, hielt die Röcke gerafft. Sie sprang über Schneehügel, prallte beinahe gegen einen Schneemann, den die Kinder gebaut hatten, und kam endlich atemlos an Melchiors Haus an.
    Sie hämmerte gegen die Tür, als wäre der Teufel hinter ihr her. Und als Aron öffnete, fiel sie in seine Arme.
    Stunden später, es war bereits dämmrig geworden, saßen sie in der Küche von Melchiors Haus zusammen und tranken heißen Glühwein.
    «Ich suche nach einem Haus in Zuckelhausen mit großen Stallungen dahinter für die Pferde», sagte Aron.
    «Was sagst du da?», fragte Priska fassungslos. «Du willst dich in Zuckelhausen niederlassen?»
    Aron nickte und fasste nach ihrer Hand. «Ich liebe dich, Priska. Ich kann nicht so weit von dir entfernt leben. Ich möchte dich sehen können, so oft es nur geht. Unsere Tochter ist neun Jahre alt. Auch sie möchte ich aufwachsen sehen.»
    «Aber kannst du denn hier leben?»
    «Ja. Inzwischen kann ich das. Die neue Zeit macht es mir möglich. Ich bin ein Lutherischer geworden, Priska, mussden spitzen Judenhut nicht länger tragen. Wenn du eines Tages frei sein solltest, mein Lieb, dann können wir heiraten.»
    «Du hast deinen Glauben gewechselt? Für mich?»
    «Es ist ein guter Glauben. Ich muss mich nicht verbiegen dabei.»
    Er beugte sich zu ihr, nahm ihr Gesicht in seine Hände. «Komm zu mir, Priska. Ich werde dich nicht bitten, deinen Mann zu verlassen. Aber du sollst wissen, dass ich auf dich warte. Auf dich und auf Nora.»
    «Aron», war alles, was Priska dazu sagen konnte. Die Brust tat ihr weh vor Liebe zu ihm. Das Herz schlug heftig und wollte ausbrechen vor
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