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Die Witwe

Die Witwe

Titel: Die Witwe
Autoren: Carter Brown
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kurz. »Bevor ich Sie in die Mordabteilung zurückbefördere
— per Expreß .«
    Ich machte, daß ich rauskam.
Ich erklärte Annabelle, daß unsere Pläne leicht geändert werden müßten, daß es
eine >Kommen-Sie-wie-Sie-sind<-Party werden würde und daß sie ihre
Enttäuschung darüber, daß sie meinen neuen Anzug diesmal nicht zu Gesicht
bekäme, hinunterschlucken müsse. Ich rauchte fünf Zigaretten, während sie das Büro
in Ordnung brachte — eine Zigarette, während sie ihre Papiere auf dem
Schreibtisch wegräumte, und vier, während sie all die Verschönerungen an sich
selber vornahm, die sie nicht nötig hatte.
    Als sie schließlich mit ihrem
brandneuen Gesicht auftauchte, schob ich sie eilig hinaus in meinen Austin
Healey und teilte ihr mit, wir führen zum Bald Mountain hinaus, um einen Blick
auf den Propheten zu werfen. Ich wollte ihr Näheres über ihn erklären, aber
dessen bedurfte es nicht.
    »Ich habe eine Menge von ihm gehört.
Er sei ein absoluter Traum von einem Mann, behaupten alle.«
    »Ein Frischluft-Freud oder so
was?«
    »Sie brauchen gar nicht
ironisch zu werden«, sagte sie kalt. »Meine Freundin behauptet, er sei der, nun
ja, männlichste Mann, den sie je gesehen habe.«
    »Sie sollten erst mal mich in
meinen Handschellen sehen«, sagte ich freundlich.
    »Die habe ich beinahe
vergessen«, sagte Annabelle. »Danke, daß Sie mich daran erinnert haben.« Es war
ausgesprochen mein Fehler gewesen.
    Ich fuhr die gewundene Straße
hinauf, die zur Spitze des Bald Mountain führte, und parkte den Healey zwischen
einer Reihe anderer Wagen. Wir stiegen aus und bahnten uns unseren Weg zwischen
einer großen Menge von Leuten, die nahe am Rand des langgezogenen Steilabfalls
des Berges stand. Sie blickten alle westwärts in die untergehende Sonne, und
ich mußte blinzeln, um sehen zu können, was vor sich ging.
    Wir erreichten den Rand der
Menge, und nun konnte ich erkennen, was los war. Den Rücken der Sonne und das
Gesicht der Menge zugewandt, stand da ein dunkelhaariges Mädchen. Sie trug ein
langes weißes Gewand. Ich blickte schärfer hin, und dann war ich meiner Sache
sicher, auch ohne Sonnenbrille. »So was!« sagte ich begeistert. »Sie trägt
nicht einen Faden unter diesem Gewand!«
    »Wie können Sie das ohne
Feldstecher auf diese Entfernung erkennen?« fragte Annabelle steif.
    »Sobald ich, um so etwas auf
irgendeine Entfernung zu erkennen, einen Feldstecher brauche, heirate ich«,
erklärte ich ihr. »Dann hat das Leben ohnehin seinen ganzen Reiz verloren.«
    Ich konzentrierte mich erneut
auf das dunkelhaarige Mädchen. Die Anstrengung lohnte sich, weiß der Himmel.
Sie stand aufgerichtet und bewegungslos sich gegen den Himmel abzeichnend da,
und einen weiteren Augenblick lang hielten die sterbenden Sonnenstrahlen die atemberaubende
Silhouette fest.
    Dann glitt die Sonne langsam
hinter den Horizont, und die Silhouette verschwand. Die statuenhafte
Dunkelhaarige beugte sich in demütiger Verneigung langsam nach vorn, und die
Menge der Zuschauer verneigte sich ebenfalls.
    »Was geschieht jetzt?« fragte
ich Annabelle. »Servieren Sie Cocktails?«
    »Nicht so laut!« zischte sie.
»Ich glaube, der Prophet spricht jetzt gleich.«
    »Keine Cocktails?«
    »Seien Sie still«, fauchte sie.
»Ich sterbe vor Verlegenheit, wenn Sie weitermachen. Die Leute hier nehmen die
Sonnenanbetung sehr ernst.«
    »Genauso wie ich Cocktails?«
    »Halten Sie den Mund!«
    »Ich verstehe feine Andeutungen
durchaus«, sagte ich verletzt.
    Langsam richtete sich das
dunkelhaarige Mädchen wieder auf, und ihre Arme senkten sich zur Seite hinab.
Dann drehte sie sich um und hob den rechten Arm in einer sowohl grüßenden als
auch devoten Geste — so wie ich einem Barkeeper zuzuwinken pflege.
    Der Prophet erschien.
    Ein weißes Lendentuch umgab
seine Hüften, ein verblüffender Kontrast zu der tiefen Sonnenbräune seines
Körpers. Er war fast ein Meter neunzig groß, hatte breite Schultern und eine
massige Brust. Seine Muskeln wölbten sich nicht wie die eines
Mr.-Amerika-Kandidaten, aber sie waren sehnig. Er hatte dichtes, grobes
schwarzes Haar, das straff aus der Stirn gebürstet war, und einen kurzen
schwarzen Bart. Er stand neben dem dunkelhaarigen Mädchen in dem weißen Gewand
und blickte regungslos in die Menge.
    Man konnte die Reaktion der
Leute spüren und die halb hysterischen Seufzer der in Mehrheit befindlichen
Weiblichkeit hören.
    »Spielt er auch auf einer
Gitarre?« fragte ich Annabelle.
    »Er ist
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