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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman
Autoren: Ulrike Blatter
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Lebensweise zu erlernen. – Alle diese Zeichen haben sich mittlerweile erfüllt«, schloss Topsannah und sah beinahe zufrieden aus.
    »Ja, und?« Bloch war ratlos. »Geht das denn irgendwie weiter?«
    »Ja, natürlich. Wir warten alle auf das neunte und letzte Zeichen. Nach der Prophezeiung der Hopi-Indianer hat es schon mit dem ersten Irak-Krieg und den brennenden Türmen begonnen, sich zu erfüllen. Wir leben in der Endzeit. Bald werden alle Zeremonien ihren Abschluss finden und das Menschengeschlecht wird ausgelöscht werden. Nur diejenigen werden überleben, die gelernt haben, nach den ewigen Gesetzen der wahren Menschen, im Einklang mit der Natur zu leben.«
    »Und das alles haben Sie vom Meister gelernt?«
    »Ich meinte es. Wie gesagt, die Lehre ist wahr. Nur scheint es mir inzwischen so, dass er ein falscher Prophet ist. Ich fühle mich sehr unsicher.« Sie schlug die Hände vor das Gesicht. »Ich habe ihm vollkommen vertraut. Ich habe ihm mein Kind anvertraut.«
    »Er hat sie getötet?« Bloch lauschte dem Klang seiner Stimme nach.
    Topsannah legte den Kopf schräg, so, als müsse auch sie einem fernen Klang lauschen.
    »Nicht getötet«, flüsterte sie. »Er hatte wohl zu wenig Geduld. Das stimmt. Er hat sie nicht lange genug auf ihrem Bett liegen gelassen. Vielleicht war er auch eifersüchtig und hat sie deshalb fortgeschickt von mir. Dann hat er mich mit Eva betrogen. Das war sein Fehler. Beide haben dafür bezahlt. – Leider nicht ganz so, wie ich es wollte. Aber sie haben bezahlt.«
    »Moment mal«, Cenk konnte nicht mehr an sich halten. »Moment mal – das heißt also,
Sie
haben die Hütte angezündet, Frau Adler?«
    »Ja, natürlich – wer denn sonst? Denken Sie vielleicht, eine Hütte gerät bei solchem Nebel von alleine in Brand? Adler und Eva haben mich betrogen. Sie mussten dafür bezahlen – das müssen Sie doch verstehen.«
    Hatte Bloch noch irgendwelche Gefühle? In ihm war alles taub. Eva und Adler? Auch er fühlte sich betrogen – er war nicht der Richtige für diese Vernehmung. Er sollte alles abgeben, nach Hause gehen und sich die Decke über den Kopf ziehen. Wo war er zu Hause? In der Wohnung, in der Eva damals auf dem Sofa gesessen hatte? In der Wohnung, in der er die Pistole in der Küchentischschublade vergessen hatte? Auch er hatte seine Tochter einmal beinahe getötet.
    Blochs Stimme klang für ihn selbst unerwartet sachlich.
    »Frau Adler, ich komme noch einmal auf meine Frage zurück. Hat Adler, ich meine, hat der Meister Sacajawea getötet?«
    Topsannahs Blick war vollkommen klar.
    »Mein Kind getötet? Nein, das war nicht Adler. Getötet hat sie der andere.«
    »Welcher andere?« Bloch und Cenk tauschten verdutzte Blicke.
    »Na ja, das ist die zweite Sache, von der ich Ihnen die ganze Zeit erzählen wollte. Sie lassen mich ja nie ausreden.« Topsannahs Stimme war jetzt sehr sanft und sie seufzte ein wenig, ganz so, als müsste sie einem kleinen, ungeduldigen Kind etwas zum hundertsten Male erklären.
    »Die Sache fing an mit dieser Zeitungsmeldung. Ich sah sie zufällig – oder was soll ich sagen, die Schlagzeile war so riesig, dass selbst ein Blinder sie nicht übersehen hätte.«
    Plötzlich wusste Bloch, auf was sie hinauswollte.
    »›Ötzi-Hexe vom Bodensee‹, das war der Titel, wenn ich mich nicht irre. ›Mumienfund am Stadtrand von Konstanz‹.« Topsannahs Stimme brach. »Sie können sich nicht vorstellen«, flüsterte sie, während sie sich eine Hand auf den Mund presste. »Nicht vorstellen – wie schrecklich – es war doch mein Kind ...« Ihr Kinn begann hemmungslos zu zittern und sie holte mit einem stöhnenden Laut Luft. Zog die Luft lang und schmerzlich ein, so, als widerstrebe es ihr, weiter zu atmen. Ihre Augen blieben jedoch trocken.
    »Dieser Professor hat sie auf dem Gewissen«, klagte sie. »Dieser Hoffmann. Er hat ihren Schlaf gestört und ihr endgültig jede Hoffnung auf Beendigung des Rituals genommen. Er war es, der mein Kind getötet hat. Er hat sie auf dem Gewissen. – Aber er hat dafür bezahlt.«
    Sie schloss ihre Augen und schwieg. Mit leisem Knacken sprang das Aufnahmegerät auf Stopp. Cenk stand auf und schob vorsichtig eine neue Kassette ein.
    »Ich sage nichts mehr.« Topsannahs Stimme klang müde und trotzig zugleich.

Epilog
    Es war ein klarer, frostiger Wintermorgen. Ein sibirischer Tiefausläufer wälzte eine arktische Kaltluftwelle nach Westeuropa. In den Tageszeitungen zählte man mit unterdrücktem Schaudern erfrorene
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