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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman
Autoren: Ulrike Blatter
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heraus. Hin und her. Hin und her.
    »Die können mir auch nicht helfen – das weißt du genauso gut wie ich. Das ist doch alles nur Schulmedizin. Die pumpen mich nur voll mit dreckiger Chemie. Papa.«
    Da war es wieder, das Wort. Verdiente er es? Erich. Ehrlich.
    Das Telefon klingelte.
    Als er abhob, im gleichen Moment, verschwand sie. Verschwand wie ein Schatten, ihre ganze schmale Gestalt mit dem kurzsträhnigen, schwarz gefärbten Haar und den brennenden Augen, Augen wie Kohle, die Gestalt mit den hochgezogenen Schultern in der mächtigen, schwarzen Lederjacke, die eine künstliche Körperfülle vortäuschte, sie verschwand wie ein Schatten. Sie machte beim Weggehen keine Geräusche, obwohl sie schwere Boots trug. Fade away, dachte der Kommissar. Fade away.

2. Kapitel
    Es war ein Leichenfund im Archäologischen Landesmuseum, also sozusagen in allernächster Nachbarschaft. Der Kommissar musste lediglich den fast quadratischen Platz vor dem Polizeipräsidium, das sich in einer umgebauten Klosteranlage befand, überqueren und stand schon nach zwei Minuten vor dem gläsernen Windfang des Museums.
    Ein weitläufiges, helles Gebäude. Sehr still. Kasse und Informationsschalter unbesetzt. Montags blieben alle Museen geschlossen. Der Kommissar musste hinauf in den ersten Stock. Er ging vorbei an einem Raum, den er gut kannte; er nannte ihn insgeheim die Totenkammer. Die Wände waren gebildet aus Vitrinen, die, gleich gläsernen Särgen, die Ergebnisse der unterschiedlichsten Ausgrabungen bargen. Bloch kannte sie alle: die winzigkleinen Kinderknöchelchen wie auch die mürben Knochen der Erwachsenen. In der Nähe der Eingangstür lagen auf Augenhöhe mit dem Betrachter diverse Schädel mit Hieb-, Schnitt- oder Schlagverletzungen. Schädel mit Kampfverletzungen, die mehr oder weniger lange überlebt worden waren, Schädel, die durch ein Richtschwert mit glattem Schnitt abgetrennt worden waren, oder Schädel nach kunstvoll ausgeführten prähistorischen Hirnoperationen. Weiter hinten fanden sich Zahnprothesen aus Walrosszähnen und Röhrenknochen mit rheumatischen Veränderungen, zerfressen von Tumoren oder von Knochentuberkulose. Der Kommissar hatte schon manches Zwiegespräch mit diesen Knochen geführt – sie beantworteten nicht nur historische Fragen, sondern waren auch von medizinischem und kriminalistischem Interesse. Auf einer Glasscheibe war die Silhouette eines Mannes abgebildet. Der Kommissar stellte sich davor. Es sah aus wie ein Spiegelbild. Er tat das, was er immer hier tat, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Er musste es schnell tun, denn oben wartete die Arbeit auf ihn. Aber Tote laufen nicht weg. Bloch drückte den roten Schalter. Hinter der Glasscheibe leuchtete ein grelles Licht auf und sein Spiegelbild wurde von einem grinsenden Skelett überdeckt. Erschrak er?
    Nicht sonderlich.
    Er kannte dieses Spiel.
    Fundort war das Büro von Professor Hoffmann. Der Tote saß zusammengesunken am Schreibtisch und wandte ihnen den Rücken zu. Ein schmaler, hoch gewachsener Mann von athletischer Statur. Es war anzunehmen, dass es sich bei dem Toten um den Inhaber des Büros handelte. Sein Gesicht lag inmitten einer Blutlache auf der Tischplatte. Die Leichenstarre war bereits eingetreten. Deshalb waren jegliche Rettungsversuche unterblieben und die Fundsituation zeigte sich unverändert, als der leitende Kommissar wenig später das enge, mit Regalen und Asservaten voll gestopfte Büro betrat.
    »Wer hat ihn gefunden?«
    Eine junge Frau trat vor. Jungenhafter Haarschnitt. Betont burschikoses Auftreten. Mit einem weiten Pullover versuchte sie offensichtlich, ihre zu weiblich geratenen Formen zu kaschieren. Ihre fransig geschnittenen Haare waren dunkel gefärbt – die künstliche Haarfarbe passte jedoch nicht zu ihrem ungesund bleichen Teint. Sie vermied den Blick auf den Toten und stellte sich mit räuspernder Stimme vor: »Christina Löble. Ich bin – war seine Assistentin, ich meine von Professor ...« Sie brach ab.
    »Schon gut. Vielleicht warten Sie lieber draußen?«
    Sie nickte stumm. Nur die Haarfarbe der Löble war die gleiche wie die seiner Tochter. Ansonsten verboten sich jegliche Vergleiche. Der Kommissar wandte sich der Arbeit zu. Es war das Übliche.
    Routine.
    Mordsroutine.
    Der Kontakt mit Opfern und Tätern kostete ihn schon lange keine Überwindung mehr. Manchmal stand er ihnen näher als den so genannten normalen Mitbürgern, die zu schützen doch sein Aufgabenbereich war. Mit den Jahren gelang es ihm
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