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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman
Autoren: Ulrike Blatter
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neben der Tür. Hoffmann war so sehr in seine Arbeit versunken gewesen, dass er den leichten Schritt Topsannahs nicht wahrnahm. Erst als sie direkt hinter ihm stand, hob er irritiert den Kopf.
    Da war es aber schon zu spät gewesen.
    Bloch hatte das Ende des Stadtgartens erreicht. Bahngleise zur Linken, den ausgetrockneten Graben, der sich Schwanenteich nannte, zur Rechten. Die Schwäne hatten sich weit zurückgezogen. Im Frühjahr, wenn das Wasser wiederkam, würden sie ihre Nester zur Belustigung des Publikums direkt am Ufer bauen. Im letzten Jahr war ein Mann, der sich schwimmend einem solchen Nest näherte, von den Schwänen mit Schnabelhieben beinahe getötet worden.
    Wenn er weiter geradeaus ginge, würde er bald das Archäologische Landesmuseum sehen. Dahinter lag das Polizeipräsidium. Ganz in der Nähe das Landratsamt.
    Bloch atmete tief. Dann wählte er den Rückweg durch den Stadtgarten, so wie er gekommen war.
    Nun ging er rascher. Die verlassenen Spielgeräte würdigte er keines Blickes. Er musste sich aufwärmen. Wenn es schon kein Bier wäre, das sie gemeinsam trinken würden, dann könnten sie doch wenigstens mit einer Tasse heißen Tees, verfeinert mit Rum, auf den gelösten Fall anstoßen. Wo, zum Teufel, steckte dieser Cenk? Sein Handy war immer noch abgeschaltet.
    Auf den klobigen Steinen, weit draußen im ausgetrockneten See, leuchtete es rot.
    Bloch kniff die Augen gegen das diffuse Winterlicht zusammen. Dann leinte er Churchill an einer Bank fest und stieg zum zweiten Mal an diesem Vormittag hinunter auf den trockengelegten Seegrund.
    Der Obdachlose war von seinem Sitzstein aufgestanden und hatte sich auf den Weg gemacht. Wollte er zum Wasser gehen oder hatte er einfach nur die Richtung zum Stadtufer verfehlt? Jedenfalls hatten ihn seine Kräfte verlassen und er war zusammengebrochen. Sein Fischgrätmantel klaffte und darunter war der rote Schal sichtbar, den sich der Mann sehr fest kreuzweise um die Brust gewickelt hatte.
    Der Alte stank erbärmlich. Bloch berührte vorsichtig die hühnerstoppelige Halshaut. Dort klopfte es, zart wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, es stolperte, verlosch, flackerte wieder auf.
    Bloch tippte die Notrufnummer in sein Handy und wartete.
    Er hoffte, dass sie schnell genug kommen würden. Eine Mund-zu-Mund-Beatmung bei diesem Menschen erschien ihm unzumutbar.
    Er rollte den Bewusstlosen in die stabile Seitenlage und versuchte ihn mit seiner eigenen Jacke so gut es eben ging, vor der Kälte zu schützen.
    Als die weiß gekleideten Sanitäter ihm über die Steine entgegenstolperten, war Bloch bereits völlig durchgefroren. Er schilderte den Fall kurz und präzise. Der Obdachlose war für die Sanitäter ein alter Bekannter. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn aus solch einer Situation retten mussten. Sie luden ihn auf eine Trage und schnallten ihn fest. Eine Fuselfahne umwehte sie. Bloch nahm mit spitzen Fingern seine Jacke entgegen. Das Handy fiel klappernd auf die Steine. Er steckte es wieder ein.
    »Irgendwann«, sagte der eine Sanitäter. »Irgendwann hat er mal kein Glück. Bis jetzt ist er immer rechtzeitig gefunden worden, aber das kann auch mal ins Auge gehen.«
    »Komm mach schon, es ist kalt«, murrte sein Kollege. Er nickte Bloch grüßend zu und dann schwankten sie mit ihrer Last in Richtung Ufer.
    Bloch ging ihnen langsam hinterher. Als er wieder auf der Promenade stand, war der Rettungswagen bereits abgefahren und das kleine Häuflein Neugieriger hatte sich verlaufen. Churchill begrüßte ihn mit einem Winseln.
    »Wird Zeit, dass wir uns ein Plätzchen zum Aufwärmen suchen, was, alter Freund?« Churchill widersprach ihm nicht.
    Diesmal ging er quer durch die Altstadt. Auf der Marktstätte bauten sie die letzten Buden des Weihnachtsmarkts ab. Der Kaiserbrunnen war stillgelegt. Auf dem großen Bronzepferd saß ein junges, hübsches Mädchen – Anfang 20, schätzte Bloch. Attraktiv, lange, dunkle Haare. Sie sah ein wenig aus wie Brigitte, damals, als sie noch jung war. Bloch sah genauer hin.
    Er kannte die junge Frau. Cenk hatte ihm vor einigen Tagen stolz ihr Foto gezeigt. Wie sie hieß, hatte Bloch vergessen. Aber dass sie studierte, daran erinnerte er sich noch – ihre Studienfächer hatte er sich gemerkt, da ihm die Namen gefielen, Limnologie und Ichthyologie.
    Die Lehre von den fließenden Gewässern und den Fischen darin.
    Das klang fast schon poetisch.
    Schräg vor dem Bronzepferd stand Cenk und machte Fotos von ihr. Zum Fotografieren
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