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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman
Autoren: Ulrike Blatter
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Obdachlose.
    Kommissar Bloch hatte ein paar Tage frei genommen. Trotzdem verließ er seine Wohnung noch vor acht Uhr in gewohnter Hast.
    Es wäre an der Zeit gewesen, Ordnung zu schaffen, aber gerade heute ertrug er den Anblick der kalkfleckigen Dusche nicht, ertrug auch nicht die Schimmelflecken, die sich in bizarren Mustern oberhalb des Badezimmerfensters ausbreiteten. Ganz zu schweigen vom Chaos in der Küche. Erst als er vor der Haustür stand, wurde sein Atem wieder ruhiger.
    Churchill schnoberte an einem vergitterten Kellerfenster herum. Er hatte in den letzten Wochen weiter zugenommen. Während der Weihnachtstage, die Bloch, wie üblich, im Büro verbracht hatte, war der Hund von wohlmeinenden Kollegen mit Süßigkeiten geradezu gemästet worden.
    Bloch lehnte seinen Rücken an die schwere, mit Schnitzwerk verzierte Haustür und schaute die Kreuzlinger Straße hinauf und hinunter. Es war eine laute, lebhafte Straße, in der sich regelmäßig der Verkehr staute, eine Straße mit hohen, vernachlässigten Gründerzeitfassaden, die sich durch den Dreck aus unzähligen Auspuffrohren von Jahr zu Jahr immer dunkler färbten.
    Diese Straße war eine Durchgangsstraße, in vielerlei Hinsicht, Durchfahrt in Richtung Schweizer Zoll oder Durchgangsstation für Immigranten aus aller Herren Länder. Ein buntes Völkergemisch tummelte sich hier, wogte in immer neuen Wellen heran, eröffnete kleine Läden oder Werkstätten, bekam Kinder, die auf der Straße lärmten, und, kaum herangewachsen, wieder wegzogen. Es gab nur wenige Menschen, die in dieser Straße endgültig Wurzeln geschlagen hatten. Meist waren es die ganz Alten, die bereits seit dem Zweiten Weltkrieg hier lebten. Bloch hatte sich schon öfters gefragt, warum gerade er es nicht schaffte, von hier wegzuziehen.
    Jetzt, wenige Tage nach dem Jahreswechsel, strömte der Nomadenzug der Shopping-Touristen wieder über die Grenze. Das neu eröffnete Einkaufszentrum lockte mit Sonderrabatten und auch in den Läden der Altstadt wurde der ›Winterkehraus‹ exzessiv zelebriert. Trotz dieser Anstrengungen erschien der Frühling fern wie nie.
    Bloch zog vorsichtig an der Hundeleine. Churchill verließ das Kellerfenster und ging ungewohnt folgsam an Blochs Seite.
    »Wir gehen zum See, alter Freund. Ich hoffe, du schaffst es auch wieder zurück. Zum Tragen bist du mir nämlich zu schwer.« Bloch sprach in die Luft, ohne Churchill anzusehen. Vor seinem Mund bildete sich eine dichte, weiße Wolke. Der Hund schnaufte, aber er hielt Schritt.
    In wenigen Wochen würde das Verfahren eröffnet werden.
Die
Hauptverfahren. Das Verfahren gegen Zumkeller und Binder wegen Störung der Totenruhe und wegen Wissenschaftsbetruges war abgetrennt worden und wurde auf Schweizer Seite verhandelt. Sie hatten Zumkeller zwar nachweisen können, dass er seit Jahren einen regen Handel mit Leichenteilen und Präparaten aus der rechtsmedizinischen Sammlung betrieben hatte. Aber er konnte den Ermittlern genauso plausibel machen, dass ihn keinerlei Schuld am Tod der jungen Frau traf. Obwohl sehr viele Indizien dafür sprachen, dass er die ihm anvertraute Mumie bewusst in einen Zustand gebracht hatte, der die wenigen noch vorhandenen Spuren weitgehend vernichten würde. Man konnte ihm allenfalls Schlampigkeit nachweisen, Vorsatz und Planung sicher nicht. Oberpräparator Binder war bereits wieder auf freiem Fuß und auch Zumkeller würde mit einer Geldstrafe davonkommen.
    Die Ermittlungen gegen Adler und Topsannah erwiesen sich hingegen als außerordentlich kompliziert. Entweder machten die beiden verwirrende und sich widersprechende Aussagen, oder sie schwiegen tagelang. Selbst die Tatsachen, die klar schienen, hatten sich zu einem dichten, verwirrenden Geflecht miteinander verwoben, in dem nicht ersichtlich war, an welcher Stelle der Straftatbestand anfing und wo der schiere Wahnsinn.
    Professor Hoffmanns Fall war am klarsten. Der Archäologe war Anfang und Endpunkt, sozusagen der Kettfaden dieses Gewebes. Ein solider Wissenschaftsbetrüger, der sein Unwesen jedoch in längst untergegangenen Reichen und verstaubten Epochen trieb. Eigentlich ein harmloser Spinner, der zu Lebzeiten sicher nie einem Mitmenschen auch nur ein Haar gekrümmt hätte. War es denn wirklich so eminent wichtig, ob es im mittelalterlichen Konstanz ein paar Hexen mehr oder weniger gegeben hatte? Wahrscheinlich taugte dieses Thema sowieso nur für einen entlegenen Historikerstreit. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr
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