Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman
Autoren: Ulrike Blatter
Vom Netzwerk:
zur Entwicklung findet. Ja, das waren seine Worte. Er überredete mich also, Sacajawea an einen Ort zu bringen, an dem sie den notwendigen inneren Frieden finden würde und in Ruhe ihre spirituelle Entwicklung abschließen könnte.«
    Cenk stand auf und sagte: »Ich geh mal rüber und frage, wie die Kollegen mit der Vernehmung weiterkommen.« Er schob ihm einen Zettel über den Tisch. ›Das klingt verdammt noch mal nach einer Beerdigung, wenn du mich fragst‹, stand auf dem Zettel. Cenk ging raus.
    Das klang verdammt noch mal nach einer Beerdigung. Bloch hatte wörtlich dasselbe gedacht.
    Was hätten sie mit Eva gemacht, wenn sie auch nur eine halbe Stunde später gekommen wären?
    »Er fand den Platz durch Auspendeln. Er hielt das Pendel über den Stadtplan von Konstanz und fand so einen guten Platz für mein Mädchen«, erzählte Topsannah mit tonloser Stimme weiter. »Er sagte mir nicht, wo. Aber es sei ein guter Platz. Ein alter Ritualort, der schon seit vielen Generationen benutzt würde.«
    Dann hatte es den angeblichen Indianer jedoch kalt erwischt. Hoffmanns Hexenstern war nämlich genauso falsch wie Adlers Hungerrituale.
    »Zuerst dachte ich, es wäre vielleicht ein Friedhof. Entschuldigen Sie bitte, es macht mich immer noch traurig, obwohl ich ja eigentlich nicht traurig sein dürfte.« Topsannah griff nach dem Wasserglas und warf es fast um. Mit hastigen Schlucken leerte sie es und betrachtete es dann nachdenklich, als habe sie einen großen Fehler begangen.
    »Wie sollte ich wissen, ob er nicht ein Betrüger ist?«, fragte sie in klagendem Tonfall.
    Bloch schwieg und vermied den Blick in ihr Gesicht.
    »Aber verstehen Sie doch – ich musste es glauben. Es war die einzige Chance, dass meine kleine Tochter wieder zu mir zurückkommen würde. Wenn ich den Glauben daran aufgegeben hätte, hätte ich sie verraten. Das verstehen Sie doch, oder?«
    Wieder dieser Blick, der Bloch fast davonlaufen ließ.
    »Ja sicher, Frau Adler. Ich verstehe Sie. Erzählen Sie nur weiter.«
    »Ich begann also, sie auf den Friedhöfen zu suchen. Ich wollte sie ja gar nicht stören. Ich wollte nur ganz still in ihrer Nähe sitzen, damit sie nicht allein ist, wenn sie aufwacht. Das Erste, was sie sehen sollte, wenn sie ihre Augen aufschlägt, sollte das Gesicht ihrer Mutter sein. Ich hatte keine Ruhe mehr. Tag und Nacht hatte ich keine Ruhe mehr. Der Meister beschimpfte mich und wollte mich einsperren. Er sagte, ich hätte keinen Glauben. Das war das Schlimmste für mich. Ich hatte den Glauben – ganz sicher hatte ich ihn. Aber ich konnte mein Kind doch nicht allein lassen. Wir waren noch nie voneinander getrennt gewesen, verstehen Sie. Da konnte ich sie auf gar keinen Fall allein lassen.«
    Cenk betrat wieder den Raum.
    »Können wir mal kurz draußen sprechen, Erich?«
    Sie traten auf den Gang.
    »Er hat im Prinzip alles gestanden, Erich. Aber ich glaube, er macht auf unzurechnungsfähig. Auch er erzählt irgendwas von Reinigungsritual und Wiederauferstehung. Wirres Zeug, genau wie die Frau. Im Übrigen sagt er, dass alle, die sich seinem Hokuspokus unterzogen haben, unterschrieben hätten, dass sie das freiwillig und auf eigenes Risiko tun. Vollkommen unzurechnungsfähig ist er dann doch nicht gewesen, der alte Indianer. Scheint ganz so, dass er deiner Eva erzählt hat, dass das Ganze eine Art Therapie sein soll. Ich hoffe bloß, sie hat ihm nicht auch noch Geld dafür gegeben.«
    »Doch«, sagte Bloch. »Mindestens 200 Euro hat sie ihm gegeben. Die hat sie nämlich ihrer Mutter gestohlen. Das wäre ja noch richtig ›billig‹ gewesen. Gott sei Dank hat sie von mir nichts bekommen. Ich würde mir ewig Vorwürfe machen.«
    Ich mache mir sowieso Vorwürfe, dachte er. Mit diesem Kind wurde mein schlechtes Gewissen geboren. Aber sie war kein Kind mehr. »Die Eva ist eigentlich alt genug, um für sich selber zu entscheiden«, sagte er langsam. »Sie ist doch erwachsen. Habe ich zumindest immer angenommen. Und nun hör mal, wie diese Frau Adler von ihrer Tochter spricht. Da würde auch niemand denken, dass diese Saja ... Sacajawea – so ein idiotischer Name – also, dass diese Tochter schon über 20 Jahre alt gewesen ist. Die redet ja von ihr wie von einem Kleinkind.«
    »Krank das Ganze«, schloss Cenk. »Absolut krank.«
    Ja, dachte Bloch. Da magst du wohl recht haben. Aber vielleicht steckt diese Krankheit auch mir in den Knochen.
    »Hast du Churchill gesehen, Cenk?«
    »Ja, wie du angenommen hast. Schläft bei Meyer im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher