Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman
Autoren: Ulrike Blatter
Vom Netzwerk:
Parallelen entdeckte Bloch zwischen trockener Geschichtsschreibung und Zeugenaussagen. Es gab so viele Spielarten der Wahrheit, wie es Zeugen gab. Erinnerungen waren immer subjektiv und verzerrt.
    »Bei uns Kriminalern mag vielleicht jedes Detail wichtig sein«, sagte er laut. Eine junge Frau mit Kinderwagen, die vorüberging, schüttelte den Kopf. Bloch beachtete sie nicht.
    »Aber mal ganz ehrlich – die mittelalterliche Stadtgeschichte von Konstanz? Jedes Detail – wen interessiert das heutzutage noch?«
    Renaissance, hörte er die spröde Stimme der Christina Löble. Es handelt sich um die Geschichte der Renaissance und die der Reformationszeit, Herr Kommissar. Ihr dozierender und gleichzeitig spöttischer Tonfall klang ihm so lebhaft im Ohr, dass er sich unwillkürlich umdrehte, ob er ihre Gestalt, gekleidet in einen regenbogenfarbigen Wollpullover, nicht um eine Straßenecke verschwinden sähe. Aber da war nichts. »Alles nur Einbildung«, murmelte er und zog an der Leine.
    Im Grunde genommen konnte Hoffmann kaum als echter Wissenschaftler bezeichnet werden. Sicher fehlte es ihm nicht an fundiertem Fachwissen. Aber ganz offensichtlich mangelte es ihm an einer gehörigen Portion Demut – einer Eigenschaft, die ihn befähigt hätte, auch einmal etwas Unvorhergesehenes anzunehmen. Hoffmann hatte jedoch zeitlebens die Impulse seiner Arbeit ausschließlich aus eigenen Entwürfen bezogen. Ein Drudenfuß mit fünf Schädeln an den Strahlenspitzen! – Auf eine solche Idee musste man überhaupt erst mal kommen! Bloch schnalzte beinahe anerkennend mit der Zunge und Churchill legte fragend den Kopf schief. »Nicht du, alter Freund. Du bist nicht gemeint. Hopp – es geht weiter!«
    Sie bogen in eine ruhige Seitenstraße ein. Die Fassaden wurden bunter. Der Himmel war wie hellblaues, vollkommen glatt gebügeltes Seidenpapier. Die Kälte war mörderisch. Bloch schätzte sie auf mindestens 10 Grad unter null. Eine trockene, saubere Kälte. Klärend für Kopf und Seele.
    Der Einzige, der eigentlich mit dem Verlauf der ganzen Geschichte hoch zufrieden sein konnte, war der cholerische Professor Gräber. Es würde nun die Krönung seines Lebenswerkes werden, das Chaos aufzuräumen, das Hoffmann in den archäologischen Sammlungen angerichtet hatte.
    Die Löble war sofort aus der Stadt verschwunden, nachdem sie gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt worden war. Als Bloch sie bei einer Zeugeneinvernahme noch einmal zu Gesicht bekam, hatte sie ihr Äußeres stark verändert. Sie trug einen schmal geschnittenen, schwarzen Hosenanzug, der ihre Figur vorteilhaft zur Geltung brachte. Durch den Ermittlungsstress und die Strapazen des hastigen Untertauchens schien sie erheblich abgenommen zu haben. Ihre Haare trug sie immer noch kurz, aber offensichtlich war das, was sie nun zeigte, ihre natürliche Haarfarbe, ein fades, gleichförmiges Aschblond. Ihre Augen hatte die Löble hinter einer riesigen Sonnenbrille verborgen. Es bestand kein Zweifel, sie hatte ihr Möglichstes getan, um ihr Aussehen stark zu verändern.
    Zum Prozessbeginn im Mordfall Hoffmann würde man sie wieder als Zeugin laden. Das Verfahren wird natürlich unter reger Anteilnahme der Bevölkerung stattfinden, da war sich Bloch sicher. Die Löble wäre also gezwungen, ihre rundum erneuerte Gestalt den Medien und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Auch wenn sie nichts mit dem Tod ihres Chefs zu tun hatte, stand sie doch im Brennpunkt des allgemeinen Interesses. ›Professoren-Liebchen‹ wurde sie in den Schlagzeilen tituliert. ›Schädel-Hexe‹ war ein anderer Ausdruck und was dergleichen zweifelhafte Bezeichnungen mehr waren.
    Blochs Gedanken wanderten zurück zu Professor Hoffmann. Hoffmanns letzte Kreation war ein Stern gewesen – ein Stern, verziert mit Schädeln, auf Sand gebettet. In der Stuttgarter Staatsgalerie befanden sich abwegigere Kunstinstallationen.
    Schade, dachte er. Schade, der Mann hat glatt seinen Beruf verfehlt. Als Künstler hätte er wahrscheinlich mehr Erfolg gehabt.
    Bloch kannte sich nicht aus mit dem Dasein eines Künstlers.
    Von seiner Tochter Eva hatte es immer geheißen, sie habe künstlerisches Talent. Schon in der Schülerzeitung hatten ihre gewagten Fotostrecken Aufsehen erregt. Es hatte sogar einmal eine kleine Ausstellung mit Fotos und Collagen in einem Kulturcafé gegeben – und eine Art Förderpreis. Oder nannte sich das Stipendium?
    Bloch konnte sich nicht genau erinnern. Er hatte die Ausstellung heimlich besucht. An einer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher