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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman
Autoren: Ulrike Blatter
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schwieg.
    »Verstehe, ermittlungstechnisches Geheimnis. Na ja. Ich habe Hoffmann seine unsolide Arbeitsweise mehrfach vorgeworfen. Das fällt doch immer aufs Institut zurück. Intern habe ich die Aussprache gesucht und als das nicht weiter führte, habe ich es sogar über einen offenen Brief in der Presse versucht. Auch nicht gerade die feine Art. Aber ...« Er zuckte mit den Schultern. »Das war doch alles zu schön, um wahr zu sein.«
    »Ich wiederhole meine Frage in anderer Form, Herr Professor Gräber: War es nicht eine schwierige Situation für Sie, so im Schatten eines jüngeren und erfolgreicheren Kollegen zu stehen?«
    »Sie verdächtigen doch nicht etwa mich?« Dieser Einwurf klang nicht im Geringsten empört, sondern eher resigniert. Gräber schien müde.
    Der Kommissar war sehr aufmerksam, registrierte jede Schwingung seines Gegenübers. Er fühlte sich wach, auf angenehme Weise erfrischt. Jagdfieber.
    »Bis zum Beweis des Gegenteils gilt in unserem Rechtssystem die Unschuldsvermutung, Herr Professor. Ich sitze nicht hier mit den Handschellen im Gepäck. Ich versuche nur zu verstehen, was für ein Mensch der Ermordete gewesen ist. Als sein Kollege können Sie mir da unter Umständen entscheidende Hinweise geben.«
    »Hinweise – ja. Hinweise auf seine mangelnde charakterliche Eignung – die kann ich Ihnen geben. Ich hatte schon im vergangenen Jahr den Verdacht, dass der Kollege Hoffmann Dinge publiziert, die, na sagen wir es mal vorsichtig, nicht ganz sauber sind. Aber in unserem Metier muss man publizieren, sonst zählt man nichts. Der Wert eines Wissenschaftlers bemisst sich nicht nur an der Qualität seiner Arbeit, sondern vor allem an der Anzahl seiner Veröffentlichungen. Ein perverses System! Ein ungeheurer Druck, der da auf einem lastet!«
    »Wenn ich recht verstehe«, unterbrach ihn der Kommissar, »meinen Sie damit Publikationen in seriösen Fachzeitschriften – und nicht in der regionalen Tagespresse, oder?«
    »Genau. Der Hoffmann produzierte Fachartikel wie ein Schnellfeuergewehr. Vieles unausgegoren oder munter abgeschrieben. Er war unglaublich publikumsverliebt, sah sein Gesicht gerne in der Zeitung und er schätzte es ungemein, wenn er beim Obsteinkauf auf dem Wochenmarkt oder beim abendlichen Kneipenbummel in der Altstadt erkannt und angesprochen wurde. Er war ziemlich eitel – ja, das war er wohl.«
    »Er war ein ziemlich gut aussehender Mann, nicht wahr? War er eigentlich verheiratet?«
    »Das nicht, Herr Bloch. Verheiratet war er nicht. Aber es wäre sowieso besser, wenn Sie mal bei seiner sauberen Assistentin genauer nachfragen würden. Die weiß am besten über seine Arbeit Bescheid – und ich denke, die steckten in mehr als nur einer Hinsicht unter einer Decke.«
    »Ich danke. Für einen ersten Eindruck reicht es.« Der Kommissar schloss sein Notizbuch. »Bitte halten Sie sich zu unserer Verfügung. Wir werden sicher noch einige Gespräche miteinander führen.« Er vermied bewusst das Wort Vernehmung. »Und dann noch eins. Der Kollege Meyer vom Kriminaltechnischen Dienst wird später Ihre Fingerabdrücke nehmen. Reine Routine.«
    »In Hoffmanns Büro werden Sie meine Abdrücke jedenfalls nicht finden. Ich habe es seit Monaten nicht mehr betreten. Aber machen Sie, was Sie wollen. Sie machen Ihre Arbeit und ich meine.«
    »Genau Herr Professor, ganz genau. Und jetzt entschuldigen Sie mich.«
    Die Assistentin war eine grobknochige Frau mit auffallend großen Händen. Man konnte sich gut vorstellen, wie sie auf einem Ausgrabungsgelände schwere Steine umherwuchtete und sich mit ihren Händen wie mit Schaufeln durch tiefgestapelte Erdschichten hindurchwühlte.
    Ihre ausladenden Hüften und den großen Busen verbarg sie unter einem grob gestrickten, regenbogenfarbigen Pullover. Als Bettgespielin des smarten, attraktiven Hoffmann schien sie schwer vorstellbar. Der Kommissar schob jedoch diese Gedanken vorerst zur Seite und befasste sich mit den Aufzeichnungen, die ihm Cenk wortlos über den Tisch reichte. Sie befanden sich in einem engen Zimmer, das eher einem begehbaren Schrank als einem Büro glich. Der wuchtige, an die Längsseite der einen Wand gerückte Schreibtisch füllte den Raum beinahe ganz aus. Seine Schreibfläche war, abgesehen von ein paar dekorativ platzierten Fachzeitschriften, vollkommen leer und blank geputzt. Nicht ein Staubkorn war zu sehen. Ordentliche Verhältnisse, dachte der Kommissar. Zu ordentlich. Er erinnerte sich an seine Mutter, die sein hastig
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