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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman
Autoren: Ulrike Blatter
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aufgeräumtes Bubenzimmer inspizierte, in dem ebenfalls – oberflächlich betrachtet – alles an seinem Platz war. Zu schön, um wahr zu sein, hatte sie immer gesagt und sich mit kriminalistischem Spürsinn auf die Suche gemacht. Sie hatte immer alle seine Verstecke gefunden, mochten sie noch so ausgetüftelt gewesen sein. Die zerknitterten Schulbücher im Kleiderschrank, die dreckigen Socken hinter dem Heizkörper und die vertrockneten Kuchenränder und schimmeligen Mandarinenschalen in der Legokiste unter dem Bett. Naserümpfend und mit spitzen Fingern hatte sie ihm das Zeug vorgehalten und ihn gefragt: ›Schämst du dich denn gar nicht?‹ Nein, geschämt hatte er sich nicht. Beide nahmen es eher sportlich. Das Aufräumen hatte er erst später gelernt, als er tatsächlich andere Hefte zu verbergen hatte als die ungeliebten Comics. Da hatte er allerdings schon in puncto Kombinationsgabe und Spürsinn einiges von seiner Mutter gelernt, was ihm später noch oft zugute kommen sollte.
    Der Laptop der Löble war zugeklappt und weit nach hinten an die kalte Wand geschoben. Einziger Wandschmuck war ein Kalender mit Jahresübersicht und einigen spärlichen Eintragungen mit Bleistift. Eine gestochen klare Handschrift. Einiges war wieder ausradiert oder unleserlich gemacht worden. Der Laptop war der einzige verstaubte Gegenstand auf dem blitzblank gewienerten Schreibtisch. Auf seinem Deckel mit dem Firmenlogo sah der Kommissar verwischte Fingerspuren; ganz so, als habe die Löble den Deckel hastig geschlossen und sei danach nicht mehr dazu gekommen, ihn auch noch abzuwischen.
    An der anderen Längswand des Zimmers standen einfache Kiefernholzregale, die von der Sonne dunkelblond gefärbt waren. In diesen Regalen fanden sich nur wenige Bücher. Dort stapelten sich Kisten und Holzkästen, Schubladen und Pappschachteln, versehen mit handschriftlichen Etiketten oder mit kryptischen Inventarnummern. Zwischen den Regalen und dem Schreibtisch blieb nur ein schmaler Gang. Ein altmodisches Sprossenfenster war weit geöffnet. Der Blick ging über die Dachlandschaft des gegenüberliegenden Polizeipräsidiums. Draußen tschilpten Spatzen.
    »Nehmen Sie meinen Stuhl, Chef!« Cenk sprang eilfertig auf. »Ich darf doch?« Schräger Blick zur Löble. Die nickte.
    Cenk setzte sich auf die Tischplatte. Sein Notizblock, den er neben sich legte, war noch fast unbeschrieben. »Wir haben uns mehr über Frau Löbles Arbeit unterhalten, Chef«, meinte Cenk wie entschuldigend. »Sie weiß unglaublich viel über meine zweite Heimat. Sie war schon bei mehreren Ausgrabungsprojekten in der Türkei dabei. Ich könnte ihr stundenlang zuhören!« Er zwinkerte seinem Chef zu. Der verstand. Cenk hatte es geschickt angefangen. Die spröde, unter Schock stehende Frau war vermutlich gar nicht in der Lage gewesen, einer strukturierten Vernehmung zu folgen. So hatte Cenk sie sozusagen auf einen Nebenkriegsschauplatz geführt, sie ein wenig lockerer gemacht, Vertrauen gebildet und sie für ein Gespräch angewärmt, wie man im Polizeijargon sagte. Auch Cenk vermied das Wort Vernehmung. Er lernte schnell. Seine nussbraunen Augen blickten treuherzig. Auch die Rollenverteilung für eventuell folgende Vernehmungen stand somit fest. Üblicherweise war einer der Beamten hart und unnachgiebig, konfrontierend, falls notwendig bis an die Grenze dessen, was ein Verdächtiger aushalten konnte. Der zweite Beamte vertrat die verständnisvolle, eher seelsorgerische Position, ganz nach dem Motto: ›Nun gestehen Sie doch endlich, Sie werden schon sehen, hinterher geht es Ihnen viel besser ...‹
    War Christina Löble verdächtig? Man würde sehen. Vorerst setzte sich der Kommissar erst einmal auf den angebotenen Stuhl.
    Ein grollendes, kehliges Knurren ließ ihn zurückfahren.
    »Was ist das?«
    Unter dem Tisch schob sich ein monströses, froschähnliches Gesicht hervor. Es war an den Rändern hell bepelzt und trug eine dunkle Maske, aus der grotesk hervorquellende, blutunterlaufene Augen glotzten. Es war ein riesiger Mops.
    Die Löble tätschelte ihn beruhigend.
    Cenk wusste offensichtlich schon Bescheid.
    »Der tut nichts, Chef. Der hat mich eben genauso begrüßt.« Er grinste entwaffnend bubenhaft und zeigte dabei Zähne, die zum Nüsseknacken geeignet waren. Bei diesem Lächeln wurden die Mädels reihenweise schwach. Hoffentlich wirkte sein Charme auch auf die Löble.
    »Nett – freut mich, deine Bekanntschaft gemacht zu haben«, wandte sich der Kommissar direkt an den
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