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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman
Autoren: Ulrike Blatter
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Hund. Der hob die Lefzen und zeigte auch so etwas wie ein Lächeln. Er schien deutlich mehr Zähne zu haben als ein normaler Hund.
    »Wie heißt du denn?« Das Hinterteil des Tieres wackelte heftig hin und her. Das war seine Art zu wedeln. Der kümmerliche Rest seines kupierten Schwanzes wackelte synchron mit.
    »Er heißt Churchill«, antwortete die Löble anstelle des Hundes und bewies durch diese Namensgebung nicht nur ein tief verwurzeltes Geschichtsverständnis, sondern auch, dass sie Humor hatte.
    »Platz!« Murrend, aber gehorsam verzog sich Churchill wieder an seinen Platz.
    Der Kommissar schwieg und widmete sich seinen Aufzeichnungen. Cenk schwieg ebenfalls und lauschte überaus konzentriert dem Tschilpen der Spatzen. Der Hund schnaufte sich asthmatisch in einen Vormittagsschlaf.
    Schon nach zwei Minuten wirkte es.
    Die Löble wurde unruhig und begann auf ihrem Stuhl hin und her zu rutschen. Ihre großen, schweren Hände schienen ein Eigenleben zu entwickeln, schlangen sich umeinander, fast schien es, als kämpften die Finger gegeneinander.
    Der Kommissar warf einen Blick über den Rand des Papierbündels. »Einen kleinen Moment noch ...«
    »Kein Problem.« Die Stimme der Löble klang gepresst. »Sie erlauben – in der Zwischenzeit. Ich – mir ist gerade etwas eingefallen.«
    Sie stand hastig auf und wandte sich zum Regal, griff hierhin und dorthin, anscheinend wahllos, zog einen Karton hervor, pustete eine Staubschicht vom Deckel, las stirnrunzelnd die Aufschrift, schob ihn wieder zurück. Das wiederholte sie ein paar Mal. Der Kommissar und Cenk betrachteten sie schweigend.
    Endlich schien sie gefunden zu haben, was sie suchte. Es war eine Schachtel ohne Deckel, in der einige menschliche Schädel lagen. Der Kommissar konnte nicht genau erkennen, wie viele es waren. Die Schachtel war unbeschriftet. Die Löble nahm sie und schob sie in die unterste und dunkelste Ecke des Regals, dicht bei der Tür; schob sie ganz nach hinten, sodass sie nicht mehr zu sehen war.
    Genauso, dachte der Kommissar. Genauso habe ich früher immer meine dreckigen Socken versteckt.
    »Kennen Sie das, Herr Kommissar?«, fragte die Löble. Sie wischte sich ihre Finger an dem bunten Pullover ab und setzte sich tief aufatmend wieder auf ihren Platz. »Kennen Sie das auch? Sie werden nachts wach und eine Sache, die Sie seit Langem gesucht haben, steht Ihnen plötzlich mit größter Klarheit vor Augen? Und am nächsten Morgen, sofern Sie es nicht in Morpheus Armen vergessen haben, finden Sie diesen Gegenstand auch ganz richtig am erträumten Ort. Ist das nicht Magie?« Der Kommissar hielt es eher für eine veränderte Fähigkeit des Gehirnes zur Fokussierung. Ihm fiel die gewählte, fast schon altmodisch gestelzte Wortwahl der jungen Frau auf. Entweder hatte sie etwas zu verbergen oder sie hatte ein massives Selbstwertproblem.
    Cenk lächelte der Löble aufmunternd zu.
    »Magie oder Hexerei – kann schon sein, wer weiß das so genau? Aber sind wir da nicht schon beim Thema? Bei Ihrer Arbeit ...«
    »Hoffmanns Arbeit, meinen Sie«, gab die junge Frau schroff zurück. »Ich bin, wie Sie meiner Berufsbezeichnung entnehmen können, nur eine Hilfskraft ohne besondere Bedeutung.«
    »Können Sie uns trotzdem eine kurze Einführung in das letzte große Projekt Ihres, hm, Vorgesetzten geben?« Der Kommissar zückte den Kugelschreiber.
    »Das Ausgrabungsgelände befindet sich, wie Sie vielleicht schon wissen, außerhalb der Stadtgrenzen an der Ausfallstraße Richtung Schweiz beziehungsweise Reichenau.«
    »Wieso außerhalb der Stadtgrenze?«, der Kommissar runzelte irritiert die Stirn. Trug der Stadtteil nicht den schönen Namen ›Paradies‹?
    »Wir sprechen hier vom mittelalterlichen Stadtkern«, dozierte die Löble. »Das neuzeitliche Stadtkonstrukt der industriellen Revolution interessierte uns in diesem Zusammenhang nicht im Geringsten.«
    Dieser Einwand erschien Bloch einigermaßen befremdlich. Auch die industrielle Revolution war doch längst Vergangenheit. Lebten sie denn nicht inzwischen in der sogenannten postindustriellen Welt? – Und trotzdem hatten die Konstanzer Archäologen offensichtlich mit ihren Forschungen noch nicht einmal das Mittelalter hinter sich gelassen. Aber vielleicht sollte man diese finstere Epoche nicht allzu gering schätzen. Unter Umständen führte der ganze moderne postindustrielle Schnickschnack lediglich auf direktem Wege wieder zurück ins tiefste Mittelalter. An diesem Punkt rief Bloch sich ganz
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