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Gefährliches Spiel

Gefährliches Spiel

Titel: Gefährliches Spiel
Autoren: Lisa Marie Rice
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    Prolog
    Parker’s Ridge, Vermont
    28. November
    Icemans Mission war vorbei. Warum also war er noch hier auf diesem eisigen Hügel und beobachtete die Beerdigung im Tal unter ihm?
    Es war kalt, selbst für November. Die Totengräber hatten Mühe, den gefrorenen Boden aufzubrechen für den messingbeschlagenen Mahagonisarg, der nur wenige Meter entfernt auf dem Gras stand. Die Geräusche ihrer Spaten erklangen metallisch hell in der klaren, kalten Luft. Einige der Anwesenden stampften in dem vergeblichen Versuch, warm zu bleiben, mit den Füßen auf den schneebedeckten Boden und blickten sich dabei ein wenig verlegen um. Auf einer Beerdigung sollte man eigentlich über so einfachen körperlichen Dingen stehen. Also rieben sie sich möglichst unauffällig die Arme, zogen unglücklich ihre Wintermäntel enger um sich und hofften, dass es bald vorbei sein würde.
    Iceman stand versteckt etwa siebzig Meter den bewaldeten Hügel hinauf und beobachtete alles durch das Steiner-Fernglas, das er noch aus seinen Tagen als Elitesoldat bei der Delta Force besaß.
    Er stampfte nicht mit den Füßen und zog auch seine Jacke nicht enger um sich. Kälte machte ihm nichts aus. Hitze machte ihm nichts aus. Und es war ihm auch egal, wie sich die Trauergäste da unten fühlten.
    Er war nur wegen der Witwe hier.
    Sie stand ein wenig abseits, blass und starr, mit unbedecktem Haar und ganz in Schwarz gekleidet. Sie schien die Kälte nicht zu bemerken. Sie bewegte sich nicht unruhig hin und her, sie bewegte sich überhaupt nicht. Sie stand einfach da, klein und kerzengerade, und sah mit trockenen Augen zu, wie die Männer mühsam eine Grube aushoben. Es schien ewig zu dauern.
    Der Atem der Arbeiter stieg in weißen Dampfwolken empor, wurde heftiger wie bei Arbeitspferden, die einen schweren Karren zogen. Endlich war es geschafft, und ein sarggroßes Loch klaffte im Boden auf.
    Wie auf ein unausgesprochenes Signal scharten sich die anderen Anwesenden um die Witwe. Ein älterer Mann in einem schwarzen Kaschmirmantel berührte sie kurz am Ellenbogen und beugte sich zu ihr hinab. Sie schüttelte den Kopf, und er trat zurück.
    Der Pastor, ein junger Mann mit blassem Gesicht, öffnete seine schwere Bibel und las von einer Seite ab, die mit einem langen weißen Seidenband markiert war. Er sprach langsam und ernst, während sich seine Nase nach und nach flammend rot färbte.
    Endlich kam er zum Ende, schloss die Bibel und neigte den Kopf. Alle anderen senkten ebenfalls die Köpfe, außer der Witwe, die weiter unbewegt geradeaus starrte. Die elegant gekleidete Dame, die zu dem älteren Mann gehörte, wollte zu der Witwe hinübergehen, aber ihr Begleiter legte ihr eine Hand auf den Arm und hielt sie zurück. Er sah sie an und schüttelte den Kopf. Sie warf ihm einen verwirrten Blick zu, ging aber nicht weiter.
    Die Arbeiter hatten dicke Seile unter dem Sarg hindurchgezogen, ihn über das Loch manövriert und ließen ihn nun mühsam und langsam herab. Der Sarg war riesig, schwer. Die Arbeiter keuchten vor Anstrengung, und die Laute klangen den Hügel hinauf. Endlich erreichte der Sarg den Boden, und die Arbeiter traten respektvoll zurück.
    Der Pastor sagte etwas zu der Witwe, und zum ersten Mal bewegte sie sich, beugte sich anmutig hinab, um eine Handvoll Erde zu nehmen. Sie ging an den Rand des Grabes, warf die Erde auf den Sarg und sah dann mit abwesendem Blick auf.
    Iceman trat hastig zurück. Es war nicht so, dass er fürchtete, gesehen zu werden. Er war ein Meister der Tarnung und hatte seine Position gut gewählt. Es bestand absolut keine Gefahr, dass er entdeckt werden würde. Was ihn wie ein Schlag in die Magengrube getroffen hatte, war der raue, nackte Schmerz in dem Gesicht der Witwe.
    Ein schönes Gesicht. Ein Gesicht, das er häufiger geküsst hatte, als er zählen konnte.
    Hör auf damit , ermahnte sich Iceman. Denk an die Mission.
    Er hob erneut das Fernglas, und die Szene am Grab war wieder direkt vor seinen Augen.
    Die stille Zeremonie war nun vorüber. Die Besucher zerstreuten sich langsam, dankbar, in die Wärme und das Leben zurückkehren und sich aus dem kalten Schatten des Todes, der über der Szene lag, zurückziehen zu können. Die Witwe ging als Letzte, am Arm des älteren Mannes.
    Plötzlich versteifte sich ihr Körper und sie blieb stehen. Sie wirbelte herum und rannte zurück zum Grab, wo die Arbeiter schon dabei waren, Erde auf den Sarg zu schaufeln. Am Rand der Grube verharrte sie, Tränen liefen ihr über das Gesicht.
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