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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Gedanken im Kopf gehabt. Wenn du auf mich gehört, dich wie ein guter Sohn aufgeführt hättest und im Heer geblieben wärst, statt dich auf diese lachhafte Gottsuche zu begeben und ein Federfuchser zu werden, dann hättest du die Narben jetzt vorn wie ein Ehrenmann und nicht auf dem Rücken…«
    Margaret seufzte, stellte den Becher hin und zog Cecily und Alison fester an sich. Kein sehr vielversprechender Anfang für eine Ehe, wollte ihr scheinen.

    Die Fastenzeit hatte gerade begonnen. Am Vorabend des Festes des hl. Matthias und kaum vierzehn Tage nach meiner übereilten und trübseligen Hochzeit kam mir der Verdacht, daß mich etwas verfolgte, das – nun ja, nicht ganz von dieser Welt war. Gram und Einsamkeit können der Einbildung Streiche spielen. Und zuweilen tut Gott auch Wunder, um uns zu trösten, so wie es einst einem Freund von Robert le Tambourer geschah, der eine große Sünde begangen hatte. Dem erschien mitten im tiefen Jammertal der hl. Bartholomäus, und der maß volle fünfundzwanzig Fuß und leuchtete wie eine lodernde Flamme.
    Doch diese Erscheinung war nicht von Gott gesandt; es war ein unheimliches, beunruhigendes Gefühl; es wollte mir vorkommen, als beobachtete mich jemand in einem leeren Zimmer. Es verfolgte mich bei Tage und lag des Nachts neben mir. Wenn ich im Bett hellwach neben der steifen, störrischen Gestalt meines schlafenden Ehegespons saß, der sich aus Wut auf seinen Vater immer noch weigerte, die Ehe zu vollziehen, die der alte Lord angeordnet hatte, konnte ich ein eigenartiges Pfeifgeräusch hören, gleichsam als zöge es sacht vom Fenster her durch die nächtliche Stille des Zimmers. In meiner Not war mir, als hätte mich Satanas insgeheim im Auge, und so verdoppelte ich meine Gebete in der kalten, schlecht ausgestatteten kleinen Kapelle im Haus meines neuen Schwiegervaters. Um was betete ich, abgesehen von meiner Errettung? Vor allem um die Seele meines verstorbenen Mannes, des guten Master Roger Kendall, der so schnell gestorben war, daß er keine Absolution mehr erhalten konnte.
    Die schreckliche Überwachung begann, als mein frischgebackener Ehemann und seine Sippe von ihrem ersten Ausritt nach London zurückkehrten, den sie nach unserer Hochzeit machten. Denn kaum waren wir vermählt, da brachen sie auch schon auf, um so schnell wie möglich den mir vermachten Besitz und die Mitgift meiner Töchter in die Finger zu bekommen. Außerdem waren sie noch in anderen Geschäften unterwegs: Sie mußten Advokaten aufsuchen und die Richter bestechen, die sich mit dem Mord an meinen Stiefsöhnen befaßten, welchen sie selber als Notwehr hinstellten. Vermutlich kam das der Wahrheit durchaus nahe, je nachdem von welchem Standpunkt aus man die Sache betrachtete, denn meine Stiefsöhne hatten Streit angefangen, hatten ein Mitglied der de Vilers Familie umbringen wollen. Als Master Kendalls Söhne aus erster Ehe hatten sie selbstverständlich erwartet, alles zu erben, bis er dann auf seine alten Tage mich geheiratet und neue Kinder gezeugt hatte, die ihnen fortnahmen, was ihnen ihrer Meinung nach rechtens zukam.
    Master Kendall jedoch hatte mich sehr lieb gehabt und war stets um meine Bildung bemüht gewesen, deshalb hatte er auch Madame als Französischlehrerin und Bruder Gregory als Schreiblehrer für mich eingestellt. Und schon nutzten sie die Gunst der Stunde. Anfangs versuchten sie, mich aus dem Weg zu räumen, indem sie ihm einflüsterten, daß ich seinem Namen mit Bruder Gregory Schande gemacht hätte. Aber Master Kendall lachte sie einfach aus und enterbte sie sodann für ihre Unverschämtheit. Jedermann im Hause wußte, daß Bruder Gregory für dergleichen viel zu prüde war; und weil sich seine Familie auf dem absteigenden Ast befand, war er ein Kräutlein Rührmichnichtan, und Frauen verabscheute er fast genauso wie Krämer, Wechsler, Advokaten, gekaufte Ritterwürden und gefälschte Stammbäume. Was er damals allerdings jedermann verschwieg: Er brauchte die Arbeit, weil ihn sein Abt wegen seiner unerträglichen Streitsucht hinausgeworfen hatte, und er kein Bruder mehr war, und ein Gregory auch nicht, obwohl ich ihn immer noch so nenne, wenn ich nicht daran denke.
    Doch als Master Kendall dann starb, verschworen sich seine Söhne gegen mich, und als Bruder Gregory die Verschwörung entdeckte und mir zu helfen versuchte, wäre es um uns beide geschehen gewesen, wenn seine Familie sie nicht umgebracht hätte. Woran man ersehen kann, daß ich Gilbert de Vilers zu meinen Freunden
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