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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision
Autoren: Judith Merkle-Riley
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über die Schwelle des Eberkopfes zu setzen«, sagte Jankyn so richtig boshaft. »Seine Miene wird die Mühe wert sein.«
    »Hilde«, sagte Bruder Malachi, der alles mitbekommen hatte. »Ich glaube, man sollte Gilbert warnen, er gerät schon wieder in die Klemme.«
    »Mehr als üblich?« fragte sie.
    »Nein, wie üblich«, erwiderte Malachi.
    Aber als Hugo die Gesellschaft musterte und nicht recht wußte, ob er sie lieber in Tränen aufgelöst lassen oder noch eine Zugabe machen sollte, hörte er hinter sich seinen Vater mit heiserer Stimme fragen:
    »Sagt an, Sir William, glaubt Ihr, daß sie ansteckend ist wie die Pest?«
    »Was denn?«
    »Die Krankheit. Die Reim- und Bücherwurmkrankheit.«
    »O die, nein, natürlich nicht. Das ist nur eine Mode wie Schnabelschuhe. Die vergeht wieder. Wer weiß? Im nächsten Jahr ist es vielleicht Tenetz spielen.«
    Tennis, dachte Sir Hugo und setzte sich, ist das nicht das Spiel, das bei den jungen, französischen Edelleuten so in Mode ist? Ob ich wohl irgendwo Unterricht nehmen kann?
    »Und ich sage Euch, wenn das so weitergeht, das zehrt an der MANNHAFTIGKEIT der NATION. Der König sollte einen Riegel vorschieben.« Sir Hubert erhob schon wieder die Stimme. Er war drauf und dran, zu seiner berühmten Rede über Mannhaftigkeit und die Gründe für ihr Dahinschwinden auszuholen.
    »Ach, das macht mir weniger Sorgen«, gab Sir William so beschwichtigend wie nur möglich zurück. Er war mittlerweile recht vertraut mit Sir Huberts Ansichten über Mannhaftigkeit und fand, daß der Abend dadurch nicht gewinnen konnte. »Seht es nüchtern. Was ist ein Feuer ohne Zunder? Die Kosten für Kopisten und die Papierknappheit halten das Ganze in Grenzen.«

    Margaret hatte die Komplimente der scheidenden Gäste noch im Ohr, als sie sich an ihren Mann wandte.
    »Na?« fragte sie, »willst du immer noch deinen Namen ändern und auf den Kontinent fliehen?«
    »Noch nicht«, antwortete er und legte ihr den Arm um die Mitte. »Ich glaube, ich überlebe es. Ich muß dabei nämlich bedenken, wie schwer ich mich vor dir verstecken kann.«
    »Damit du es nur weißt«, sagte sie lächelnd, »ich verfolge dich bis ans Ende der Welt. Ich bin zu allem entschlossen, mußt du wissen.«
    »Du meinst störrisch, Margaret. Als ob ich das nicht längst wüßte. Und obendrein bist du so störrisch, daß du noch damit prahlst, statt es zu verbergen, wie es sich für eine ehrbare Frau geziemt.«
    »Willst du damit sagen, ich bin nicht ehrbar?«
    »Das nun auch wieder nicht, Margaret. Nein. Ich sage nur, du bist genau richtig. Auf gar keinen Fall möchte ich eine andere Margaret.«

    Und so feierten wir frohgelaunt unsere Heimkehr, und alles wurde bereinigt und ins rechte Lot gebracht bis auf ein paar Kleinigkeiten, die das Erwähnen nicht verlohnen. Man machte viel von uns her auf den Gastmählern, die man uns zu Ehren gab, und so besserte sich auch Gregorys Laune, und er setzte Fleisch an, bis er fast wieder der Alte war. Sein Vater schickte ihm einen Brief aus Frankreich, der nicht ganz so schlimm war, Hugo gab die Muse auf, nach einer unseligen Liebesgeschichte zumindest für ein Weilchen, und Peregrin erfreute ihn mit einem Zahn, den er jedes Mal, wenn er seinen Vater erblickte, mit einem gaumigen Grinsen vorführte.
    Eines Tages ertappte ich Gregory, wie er sein Gesicht in dem kleinen Bronzespiegel musterte. Er hielt ihn auf Armeslänge und drehte den Kopf erst nach rechts und dann nach links, um die Wirkung zu prüfen.
    »Bärte kommen wieder in Mode, Margaret. Was meinst du, sollte ich mir einen schönen langen stehen lassen? Dann sehe ich mehr nach einem pater familias aus, findest du nicht auch?«
    »Ihr seht immer gut aus, Herr Gemahl, laßt Euch also den Bart so lang stehen, wie es Euch gefällt.«
    »Frau Gemahlin, habe ich Euch letztens nicht gesagt, daß ich den Sarkasmus gepachtet habe, nicht Ihr? Und was habt Ihr gegen einen langen Bart?«
    »Ich? Ei, ganz und gar nichts, außer daß Ihr darüber stolpern könntet.«
    »Komm, komm, denk doch nur, wie prächtig ich aussehen werde, wenn ich vorm Zubettgehen dann in meinem großen Stuhl sitze und all meine Kinder und Großkinder der Reihe nach antreten und auf die Knie fallen lasse, daß sie mir die Hand küssen. ›Gott segne dich, mein Kind – Gott segne dich, Tochter – Gott segne dich, mein Sohn –‹ Gar nicht so übel, so ein Patriarch. Wenn ich es recht bedenke, so hat Gott wahrscheinlich den allerlängsten Bart.«
    »Oh! Du! Du willst mich
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