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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision
Autoren: Judith Merkle-Riley
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mit Schreibern, die französische Verse deklamieren: Sie wollen nur Geld borgen.« Aber am Ende obsiegte sie, wie es auch Master Barton, dem Gewürzhändler, und sogar Sir Thomas de Pultney, dem Fischhändler, geschah, den man besser einen Fischmakler nannte, denn der einzige Fisch, mit dem er sich persönlich befaßte, waren die auf Papier aufgelisteten Fässer mit Salzheringen.
    Und schon mußte Margaret eine neue Bestellung beim Schlachter und beim Geflügelhändler und beim Gemüsehändler aufgeben und dafür sorgen, daß bei Mistress Wengrave ein zusätzlicher Schragentisch ausgeliehen wurde.
    »Margaret«, sagte ein entgeisterter Gregory, »das läuft uns völlig aus der Hand. Ich sehe ein Ende mit Schrecken voraus und wäre am liebsten wieder im Kloster. Robert wird sich betrinken und die Damen kneifen; Master Will wird die Reichen anprangern; der fischmakelnde Ritter wird allen seine Ansichten über die niederen Ränge im Handel mitteilen. Fehlt nur noch mein Vater, der sich über die Händler der City als wucherische Parasiten ausläßt, die nichts im Sinn haben, als Englands Ehre in ihren Geldkästen zu vereinnahmen. Wie konnte ich es nur so weit kommen lassen?«
    »Aber, Gregory, sieh es einmal von einer anderen Seite. Du bist den Nachbarn nie richtig vorgestellt worden. Du kannst dich nicht einfach in die Stadt zurückschleichen und so tun, als wäre überhaupt nichts geschehen. Ich habe die Weinbestellung verdoppelt; wenn alle genug trinken, läuft es reibungslos – du wirst schon sehen.«
    Gregory seufzte. »Ja, sicher werde ich etwas zu sehen bekommen. Je mehr sie trinken, desto mehr werden sie sich streiten. Und ich kann nur noch meinen Namen ändern, auf den Kontinent zurückkehren und mich für den Rest meines Lebens verkriechen. Vermutlich werde ich eine Freikompanie zusammenstellen und in den Sielen sterben. Und so schaffst du mit einem einzigen unseligen Abend, was mein Vater in Jahren nicht geschafft hat.« Er schob die Daumen in den Gürtel und machte sich zu einem trübseligen Spaziergang durch die Straßen auf, anscheinend wollte er seiner geliebten Stadt Lebewohl sagen.
    Margaret ging jedoch zur Köchin und beriet sich mit ihr über die entremets, denn sie wußte, in solch einer Lage gibt es kein Zurück, da gibt es nur eines: Augen zu und durch. Und Emsigkeit lenkt gut von Sorgen ab.

    »Also, was kann jetzt noch passieren?« sagte Margaret am Morgen des Festes bei sich, als sie sich hinsetzte, um den Kleinen zu stillen, denn nur so kam sie einmal von den Füßen. Gerade schaffte man die Schragen in die Diele, packte die Pokale und das lange nicht gebrauchte Linnen aus, schüttelte und lüftete es. Seit Tagen drangen aus der Küche liebliche Düfte, und die Köchin hatte in die Bouillon geweint, weil sie alles an die alten Zeiten erinnerte, als der gute Master Kendall noch lebte. Und die ganze Zeit über hatten sich Besucher die Türklinke in die Hand gegeben, vordergründig, um den Kleinen zu bewundern, doch auch um einen Blick auf das Wundertier zu erhaschen, Margarets neuen Ehemann nämlich, der ein – der Himmel weiß was sein sollte. Möglicherweise ein Franzose, möglicherweise einst Mönch. Vielleicht ein fremdländischer Edelmann oder ein englischer Ritter? Wie auch immer, er hatte ein ›Sir‹ vor dem Namen, ob nun echt oder nicht. Und er kannte den König, oder vielleicht war es auch der Herzog von Lancaster oder der Prinz von Wales oder der Erzbischof oder irgend jemand sehr Interessantes höchstpersönlich. Er war ein Emporkömmling oder ein Absteiger, doch in jedem Fall verlohnte er eine Musterung. Nach seiner ernsten, höflichen Begrüßung zu schließen, war schwer auszumachen, was er nun war. Und sein fremdländisches Wams, das hatte nun wirklich einen interessanten Schnitt. Und der chaperon. Ziemlich ungewöhnlich, würde auch den eigenen Mann recht gut kleiden, wenn man ihn nur dazu bewegen könnte, sich modisch fremdländisch zu tragen.
    Margaret seufzte, doch als die Milch einschoß, verspürte sie eine Welle der Erleichterung. Sie hatte die Füße auf einen kleinen Schemel vor sich gestellt und die Augen halb geschlossen, um den dröhnenden Lärm der Welt auszuschließen, ehe sie das selige Gesichtchen anstaunte, das ihre Brust bearbeitete. Wieder einmal nur wir beiden, dachte sie. Sie spürte ein vertrautes, kaltes Gefühl im Nacken.
    »Master Kendall? Seid Ihr es? Ihr habt mir gefehlt; es war so schwer.«
    »Oh, Margaret, du siehst so zufrieden aus. Er dürfte es
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