Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Violine des Teufels

Die Violine des Teufels

Titel: Die Violine des Teufels
Autoren: Joseph Gelinek
Vom Netzwerk:
Maestro?«
    »Natürlich mag ich ihn. Aber ich denke, ich sage nichts Beleidigendes, wenn ich behaupte, er gehörte nie zur ersten Garde.«
    »Sie halten das Konzert für zweitklassige Musik? Warum haben Sie dann zugestimmt, zu dirigieren?«
    »Weil Alfonso Arjona, der Direktor von Hispamúsica, mit dem ich seit dreißig Jahren befreundet bin, mich darum gebeten hat. Und weil ein Konzert gemeinsam mit Ihnen, Signorina, ein ungeheures Privileg ist.«
    »Dieses Kompliment verdient eine aufrichtige Antwort«, erwiderte die Geigerin mit einem angedeuteten Lächeln, das Agostini ungemein verheißungsvoll erschien. »Würden Sie bitte die Tür schließen?«
    Der Dirigent erfüllte ihr die Bitte.
    Larrazábal nahm sich Zeit mit der Antwort, als müsste sie zunächst ihre Gedanken ordnen.
    Schließlich sagte sie: »Ich fand schon immer, dass Ivry Gitli, den ich übrigens sehr bewundere, recht hatte, als er sagte: In der Geschichte der Geige ist Paganini nicht einfach nur ein Entwicklungsschritt. Damit meine ich, es ist nicht so, dass es zunächst Corelli, Tartini oder Locatelli gab, und danach kam Paganini, leistete seinen Beitrag, und nach ihm ging die Entwicklung einfach weiter bis in unsere Zeit. Paganini ist ein Einschnitt, ein Abgrund, ein Sprung ins Ungewisse. Er ist das Größte, was der Geige in ihrer langen Geschichte widerfahren ist. Er ist nicht Evolution, er war eine Revolution. Genauso wie die Welt nach Christoph Kolumbus nicht mehr dieselbe war, hat sich mit Paganini für unser Instrument alles geändert. Übrigens waren beide Genuesen.«
    »Aber aus musikalischer Sicht können sich seine Konzerte nicht mit denen der Großmeister der Spielpläne messen – etwa Mendelssohn oder Beethoven.«
    »Viele Menschen glauben, im Rondo von Beethovens Konzert sei mehr Musik als in den gesamten sechs Konzerten Paganinis. Dennoch …«
    Larrazábal hielt inne, als wäre sie sich noch nicht sicher, ob sie ihre Gedanken mit Agostini teilen wollte.
    »Sie können ganz offen sprechen«, sagte er, als er sah, dass sie zögerte. »Ich verspreche Ihnen, nichts von dem, was Sie mir heute Abend sagen, wird aus diesem Raum dringen.«
    »Ich muss gestehen, dass meine Entscheidung für das Paganini-Konzert«, sagte sie schließlich, »viel mit Suntoris Fiasko letzten Monat in der Carnegie Hall zu tun hat.«
    Suntori Goto war eine japanische Geigerin aus Osaka, die ein Jahr jünger als Larrazábal war und ihrer blendenden Technik und des warmen Klangs ihrer Musik wegen als größte Rivalin der Spanierin galt.
    »Ich habe davon gehört. Was genau ist da passiert?«
    »Sie können die vernichtende Kritik auf der Internetseite der New York Times nachlesen. Suntori hat La Campanella gespielt, und schon in der Kadenz im Anfangsallegro sind ihr mehrere Fehler unterlaufen. Das Publikum verzieh ihr das – ich weiß zwar nicht, wieso, aber es ist ihr bedingungslos ergeben. Am Ende des Konzerts bat man sie um eine Zugabe, und anstatt zu akzeptieren, dass sie nicht in Bestform war, und ein mittelschweres Stück auszuwählen, wollte sie ihre Fehler wettmachen und versuchte sich an Paganinis Capriccio Nummer 24, dem vielleicht schwierigsten Stück, das je für die Geige komponiert worden ist.«
    »Das ist allerdings tollkühn«, sagte Agostini mit ernster Miene. »Zumal wenn man bedenkt, dass Suntori sich gerade erst von einer schweren Verletzung des Handgelenks erholt hatte, nicht wahr?«
    »Verletzung des Handgelenks? Sie sollten nicht alles glauben, was in der Zeitung steht, Maestro. Nach meinen Informationen entwickelt Suntori eine Auftrittsangst, die immer stärker wird und noch das Ende für ihre Karriere bedeuten könnte. Um sich vors Publikum zu stellen, muss man aus einem bestimmten Holz geschnitzt sein, und das ist sie offensichtlich nicht.«
    »Was ist denn beim Capriccio passiert?«
    »Der Times zufolge war es ein Debakel. Sie spielte die parallelen Oktaven so, dass sie wie Septimen klangen, die Glissandi hörten sich an wie Sprünge, und Sprünge wie Glissandi, die mit der linken Hand pizzicato gespielten Töne waren schon in der ersten Reihe kaum zu hören, und bei der Intonation gab es Abweichungen um einen Viertelton. Nach der neunten Variation brach sie ihre armselige Darbietung selbst ab und zog sich in die Garderobe zurück, begleitet vom eisigen Schweigen des Publikums. Niemand wagte, sie auszubuhen oder auszupfeifen, aber ihre Anhänger haben eine der herbsten künstlerischen Enttäuschungen der letzten Jahre
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher