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Die Violine des Teufels

Die Violine des Teufels

Titel: Die Violine des Teufels
Autoren: Joseph Gelinek
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erlebt.«
    »Ich wusste nicht, dass es so schlimm war.«
    »In Amerika ist Suntori erledigt, Maestro, und deshalb will sie wahrscheinlich ihre Karriere in Europa vorantreiben. Tja, und ich habe beschlossen, heute Abend als Zugabe Paganinis Capriccio Nummer 24 zu spielen. Suntori soll erfahren, dass sie es richtig schwer haben wird, wenn sie mir hier in meiner eigenen Hochburg Konkurrenz machen will.«
    Agostini lächelte. Unter dem fragilen Äußeren dieser bezaubernden Frau verbarg sich eine der kämpferischsten und ehrgeizigsten Persönlichkeiten, die ihm im Laufe seiner mittlerweile fünfzigjährigen Karriere begegnet waren.
    »Ich bin sicher«, sagte Agostini, froh, Larrazábal nicht zur Gegnerin zu haben, »dass Suntori bestürzt sein wird, wenn sie die Kritiken des heutigen Konzerts liest, denn das verspricht, überwältigend zu werden, Signorina. In den vergangenen Tagen gab es Situationen, in denen es dem Orchester schwerfiel, mit Ihnen mitzuhalten. Wie machen Sie das, solche schwindelerregenden Passagen zu spielen, ohne auch nur einen einzigen Ton falsch zu spielen?«
    »Ah, das liegt daran«, sagte sie und hielt Agostini ihre Geige vors Gesicht, »dass auch ich meinen kleinen Pakt nach Paganini-Art geschlossen habe, wie Sie sehen können.«
    Widerstrebend löste der Italiener den Blick vom Dekolleté der Solistin und besah sich die auffällige Schnecke an ihrer Geige. Es war ein einzigartiges Instrument, nie zuvor hatte Maestro Agostini etwas Vergleichbares gesehen. Die Schnecke, die üblicherweise wie ein eingerolltes Pergament geformt war, hatte die Gestalt eines bedrohlich wirkenden Kopfes.
    Eines Teufelskopfes.

2
    N icht einmal einen Kilometer entfernt versuchte Inspector Raúl Perdomo vom Morddezernat der Kriminalpolizei der Provinz Madrid derweil verzweifelt, einen Parkplatz für sein Auto zu finden. Zusammen mit seinem dreizehnjährigen Sohn Gregorio, der in seiner Freizeit im vierten Jahr am Konservatorium Geige lernte, war er unterwegs zum Auditorio Nacional, um das Konzert mit Ane Larrazábal zu besuchen.
    Juana, Gregorios Mutter und Perdomos Frau, war eineinhalb Jahre zuvor bei einem Tauchunfall im Roten Meer ums Leben gekommen, und obwohl der Junge sich von diesem Schock allmählich erholte, hatte Perdomo doch festgestellt, dass Gregorio es vermied, über seine Mutter zu sprechen. Gregorio hatte ihn sogar gebeten, den Desktophintergrund seines Computerbildschirms – ein Foto der lächelnden Juana – auszuwechseln.
    Es war das erste Mal, dass Vater und Sohn gemeinsam ein Konzert besuchten, und überdies das erste Mal, dass Perdomo sich in die feierliche, reglementierte Welt der klassischen Musik begab.
    Gregorios Mutter stammte von jenem legendären Pablo Sarasate ab, der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts die Musikliebhaber der halben Welt mit seiner Geige bezaubert hatte. Sie hatte in ihrem Sohn die Liebe zu dieser Art Musik geweckt, und bis dahin hatten immer Juana selbst oder, falls sie nicht konnte, ihre Eltern Gregorio zu Konzerten begleitet. Nach dem Tod seiner Mutter hatte der Junge lange nicht mehr den Wunsch geäußert, ein Konzert zu besuchen, doch vor zehn Tagen – und Perdomo betrachtete das als ein deutliches Anzeichen dafür, dass der Junge seine Trauer allmählich bewältigte – hatte Gregorio seinen Vater gebeten, Eintrittskarten für das Konzert der derzeitigen Topgeigerin Ane Larrazábal zu besorgen, für die der Junge eine große Schwäche hatte. Der Spaß hatte den Inspector über zweihundert Euro pro Karte auf dem Schwarzmarkt gekostet.
    Nun, kurz vor dem Konzert, fürchtete Perdomo, er könne den Anforderungen im Konzertsaal nicht gewachsen sein, denn die strenge Etikette bei Symphoniekonzerten war ihm völlig unbekannt.
    »Heute Abend bin ich ganz auf dich angewiesen, Gregorio. Du musst mir sogar sagen, wann ich klatschen soll.«
    »Mach dir keine Sorgen, Papa. Ich lasse nicht zu, dass du dich lächerlich machst.«
    »Vielen Dank, mein Sohn.«
    »Lass mal, ich tu das ja nicht für dich, sondern für mich. Du hast ja keine Ahnung, wie peinlich es ist, wenn jemand zur falschen Zeit klatscht und alle ihn anstarren.«
    »Das soll mir auf keinen Fall passieren.«
    »Das Erste, was du wissen musst, ist, dass am Anfang, noch bevor das Konzert losgeht, zwei Mal geklatscht wird: zum ersten Mal, wenn der Konzertmeister kommt.«
    »Was ist ein Konzertmeister?«, fragte Perdomo und verfluchte eine Mittfünfzigerin, die ihm gerade den Parkplatz vor der Nase weggeschnappt
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