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Die vier Söhne des Doktor March

Die vier Söhne des Doktor March

Titel: Die vier Söhne des Doktor March
Autoren: Brigitte Aubert
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Leben im verborgenen.«
    »Aber weshalb kam Jeanie überhaupt zu ihnen?«
    »Wegen des Herzanfalls von Madame. Sie brauchte eine Hilfe. Sie dachten, mit ein wenig Geschick würde Jeanie nicht bemerken, daß es einen zusätzlichen Bewohner gab. Sie wußten nicht, daß Zack die Gewohnheit hatte, ein Tagebuch zu führen, und daß Jeanie dieses entdeckt hatte. Für ihn war die Ankunft von Jeanie furchtbar: War er vorher nur für die Außenwelt gestorben, so mußte er von nun an auch innerhalb der eigenen Familie aufhören zu leben! Das muß dazu beigetragen haben, sein Seelenleben zu zerstören und seine mörderischen Triebe zu verstärken. Daß er sich so mit seinen Brüdern identifizierte, lag ganz einfach daran, daß er ausschließlich durch sie lebte. Er hatte an Jeanie ja ausdrücklich geschrieben: >Ich existiere nicht.c«
    »Was ist aus den Brüdern geworden?«
    »Sie behaupteten, von Zacks Taten nichts gewußt und ihn lediglich für ein wenig verrückt gehalten zu haben. Sie wurden freigesprochen. Der Doktor und seine Frau haben sich umgebracht. Er hat sich erhängt, sie hat Schlaftabletten genommen.
    Wenn Polizeichef Lukas, der damals Kommissar war, ihn nicht in die Enge getrieben hätte, hätte er tatsächlich ungehindert weitergemacht. Die Haltung von Jeanie Morgan schien ihm merkwürdig, genauso wie die Häufigkeit der Morde und daß sie stets in der Nähe des Hauses geschahen. Selbstverständlich wußte er damals noch nichts von den Aufzeichnungen und den Tonbandaufnahmen.«
    Ich unterbrach ihn:
    »Wer hatte sie?«
    »Man fand sie im Schreibtisch des Doktors, nachdem dieser sich erhängt hatte. Er muß bis zum Schluß versucht haben, seinen Sohn zu schützen, bis zum Zusammenbruch, aber ich weiß nicht, weshalb er sie nicht vernichtet hat.
    Aber das war nicht der Grund dafür, daß Lukas ihn schnappen konnte. Nein, daß er ihn erwischt hat, verdankte er letztlich der armen Jeanie!
    Tatsächlich hatte Jeanie in besagter Nacht, als sie versuchte durch das Fenster zu flüchten und von Zack erschossen wurde, trotz allem einen Weg gefunden, den Kommissar zu informieren. Sie hatte einen an den Kommissar adressierten Brief bei sich, den Zacharias ihr abnahm. Aber sie hatte auch eine kleine, durch Plastik geschützte Papierkugel bei sich, ähnlich denen, die zur Kommunikation im Gefängnis oder in der Schule benutzt werden. Sehen Sie, das ist die Transkription.«
    Er reichte mir ein Blatt Papier, das ich rasch überflog:
    An Kommissar Lukas, ich denke nicht gerne daran, daß ich tot sein werde, wenn Sie das lesen, aber nun gut, so ist das Leben.
    Ich weiß, daß es nicht sehr vornehm ist, meinen Magen als Briefkasten zu verwenden, aber das ist der einzige Ort, den der Mörder nicht erreichen kann.
    Jetzt wissen Sie, daß es kein Selbstmord war. Rächen Sie mich.
    Adieu für immer, ich muß gehen.
    Ihre Jeanie.
    Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, daß Jeanie Morgan anwesend war, ganz nah, dann verschwand das Gefühl. Ich gab Doktor Smith das Blatt zurück, und er fing wieder an zu sprechen:
    »Als sie merkte, daß sie sterben würde, verschluckte sie die Kugel. Es gibt keinen gewissenhafteren Briefträger als einen Gerichtsmediziner … Ha, ha, ha! Schauen Sie ihn an. Er ist schön, Zacharias, nicht wahr? Lächelnd, ruhig, freundlich. Das friedliche Gesicht hochgradigen Wahnsinns. Das süße Lächeln der Finsternis.«
    Das Guckloch schloß sich langsam vor dem Umriß der Gestalt, die reglos in der Dämmerung saß und leise ein Weihnachtslied summte.
    Draußen war Sommer. Ich atmete tief durch, um den Eindruck dieses blutrünstigen, auf meinen Rücken gerichteten Blickes abzuschütteln, und die Welt wurde wieder warm, fröhlich und lebendig.
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