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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel
Autoren: Anne Perry
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»Ich hätte das nicht fragen sollen.«
    »Samuel«, antwortete er rasch, wobei er den Namen fast verschluckte.
    Ein schöner Name. Er gefiel ihr sehr.
    »Hmm. Zu gut für Sie. Das is ja ’n richtiger Name.«
    Er hob rasch den Blick. »Gefällt er Ihnen? Meinen Sie, dass er …«
    »Aber ja«, bestätigte sie. »Ich wollt’ ’n einfach wissen, nix weiter. Jetzt muss ich aber nach Hause.« Trotz dieser Worte blieb sie sitzen.
    »Ja«, sagte er, ebenfalls ohne sich zu rühren.
    »Wissen Sie was?«, sagte sie nachdenklich. »Dieser Remus glaubt, dass er jetz die Lösung hat. Er weiß die Wahrheit, das hab ich ihm an der Nasenspitze angesehn. Er wollte nich, dass wir das merken, aber er hat alles zusammen, und morgen steht’s in der Zeitung.«
    Wortlos sah Tellman sie eine Weile über den Tisch hinweg mit ernstem Gesicht fest an.
    »Ja«, gab er ihr dann Recht. »Nur weiß ich nicht, wie ich ihn daran hindern könnte. Es würde nichts nützen, wenn ich ihm sagte, welchen Schaden er damit anrichtet. Er sieht darin seine große Gelegenheit, berühmt zu werden, und die lässt er sich um keinen Preis entgehen.«
    »Das wissen die Leute bestimmt auch«, sagte sie und spürte, wie die Angst erneut in ihr aufstieg, kalt und Übelkeit erregend. Auch wenn ihr nichts an Remus lag, wollte sie nicht, dass ihm etwas zustieß. »Ich würde wetten, dass er wieder in Whitechapel is. Das letzte Mal, bevor er die Bombe platzen lässt … bevor er seinen Artikel für die Zeitungen zu Ende schreibt. Sicher is er noch mal an die Stellen gegangen, wo es passiert is – Hanbury Street, Buck’s Row und so weiter.«
    An der Art, wie sich seine Augen weiteten, erkannte sie, dass er ihre Annahme teilte. Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf.
    »Ich gehe dorthin. Sie können eine Droschke nehmen und nach Hause fahren. Ich geb Ihnen das Geld.«
    Er begann in seinen Taschen zu suchen.
    »Kommt ja gar nich infrage!« Auch sie erhob sich. »Ich lass Sie da nich alleine hin. Machen Sie sich gar nich erst die Mühe, mir das auszureden. Wir nehm’ den Streifenpolizist von der High Street mit. Sollte Remus nich da sein, steh’n wir eben dumm da. Sie könn’ dem Mann dann ja sagen, dass es meine Schuld war.« Mit diesen Worten ging sie zum Ausgang.
    Er folgte ihr und drängte sich unter Entschuldigungen an eintretenden Gästen vorüber.
    Draußen hielt er die nächste Droschke an und nannte dem Kutscher die High Street von Whitechapel als Fahrtziel.
    Als im Licht der Gaslaterne ein Streifenpolizist auftauchte, ließ er den Kutscher anhalten, sprang herab und ging durch den Nebel auf den hoch gewachsenen Mann mit dem Helm auf dem Kopf zu. Auch Gracie stieg aus und erreichte die beiden gerade, als Tellman seinem Kollegen erklärte, dass ein Informant in Gefahr sei und unverzüglich Hilfe brauche.
    »Genau«, sagte sie, heftig nickend.
    »Gracie Phipps«, erklärte Tellman rasch. »Sie begleitet mich.«
    »Und wo hält sich dieser Informant auf?«, fragte der Beamte und sah sich um.
    »Am Mitre Square«, sagte Gracie, ohne zu zögern.
    »He!«, meldete sich der Droschkenkutscher. »Was is mit mir?«
    Tellman ging hinüber und entlohnte ihn, dann trat er wieder zu Gracie und dem Polizeibeamten. Wortlos gingen sie zur Aldgate Street, von der sie in die Duke Street gelangten. Ihre Schritte hallten in der Dunkelheit. Hier war es deutlich stiller als in der High Street, und die Laternen standen weiter auseinander. Das Straßenpflaster war glatt. Die Feuchtigkeit, die in der Luft lag, war beklemmend.
    Gracie merkte, dass ihre Wangen feucht waren. Sie schluckte und konnte kaum atmen. Sie sah Remus’ Gesicht vor sich, wie er beim vorigen Mal mit vor Erregung leuchtenden Augen dort gestanden hatte.
    Sie musste an die riesige schwarze Kutsche denken, die durch diese Straßen gefahren war und in der etwas unvorstellbar Grausames und Boshaftes lauerte.
    Als eine Ratte vorüberhuschte und sich jemand an einer Hauswand bewegte, griff sie nach Tellmans Hand und umklammerte sie fest. Er zog sie nicht fort, sondern erwiderte ihren Druck.
    Von der Duke Street bogen sie in das Gässchen vor der Kirche des Heiligen Botolph ein und tasteten sich, dem Lichtkegel der Blendlaterne des Polizeibeamten folgend, dem Mitre Square entgegen.
    Die Leere dort wurde von einer Gaslaterne hoch an einer Mauer schwach erhellt. Niemand war zu sehen.
    Gracie schwamm der Kopf vor Erleichterung. Es war ihr gleichgültig, dass der Beamte sie für eine Törin halten und zweifellos sehr
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