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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel
Autoren: Anne Perry
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Notwehr war. Immerhin steht er an der Spitze des Inneren Kreises. Hätten diese Leute mit ihrer Verschwörung Erfolg gehabt und die Revolution ausgelöst, wäre er Englands erster Präsident geworden.«
    Einen Herzschlag lang war Pitt verblüfft. Dann wurde ihm alles klar: Martin Fetters hatte das Komplott entdeckt, sich Adinett – vermutlich Voiseys Freund und Stellvertreter – in den Weg gestellt und war ermordet worden, weil er zwar Reformen wollte, aber nicht auf dem Wege einer Revolution. Trotz all seiner Macht und den zwischen ihnen bestehenden Bindungen hatte Voisey keine Möglichkeit gesehen, Adinett zu retten. Kein Wunder, dass er Pitt hasste und seinen ganzen Einfluss aufgeboten hatte, ihn zu vernichten.
    Auch Mario Corena, ein Mann, den eine reine, schlichte innere Leidenschaft trieb, war getäuscht worden. Sie hatten ihn als Werkzeug benutzt, um Sissons zu töten. Nachdem ihm das zu spät aufgegangen war, hatte er sich an Voisey zu rächen versucht.
    »Du verstehst es nicht, nicht wahr?«, fragte Vespasia leise. »Voisey wollte, dass man zu ihm als demjenigen aufschaute, der die Reformen herbeigeführt hatte. Er wollte das Volk in ein neues Zeitalter führen … Möglicherweise waren seine Ziele ja sogar am Anfang lobenswert, und gewiss standen ihm einige gute Männer zur Seite. Dann aber hat ihn seine Anmaßung veranlasst zu glauben, er habe das Recht zu entscheiden, was für alle anderen Menschen gut ist, und es durchzusetzen, ob sie es nun wollen oder nicht.«
    »Ich weiß«, sagte Pitt.
    Sie schüttelte den Kopf. In ihren Augen schimmerten Tränen. »Das aber kann er jetzt nicht mehr tun. Er hat den bedeutendsten republikanischen Helden des Jahrhunderts getötet … einen Mann, der höher stand als die Eigenart oder das Nationalgefühl eines einzelnen Landes.«
    »Aber es war Notwehr«, sagte er stockend.
    Sie lächelte, und die Tränen liefen ihr über die Wangen. »Er hat es getan, weil die Verschwörung an den Tag gekommen ist,
die mithilfe der erfundenen Geldschuld des Kronprinzen und des Mordes an Sissons den Thron stürzen und Aufruhr im Volk bewirken sollte. Als Corena begriffen hat, dass Voisey von all dem wusste, hat er ihn angegriffen, und natürlich musste Voisey schießen. Er ist ein ausgesprochen tapferer Mann! Jetzt steht er als derjenige da, der fast im Alleingang eine entsetzliche Verschwörung aufgedeckt und die daran Beteiligten mit Namen genannt hat. Gewiss werden diese Männer in Ungnade fallen und vielleicht sogar festgenommen. Ihn aber wird die Königin möglicherweise in den Adelsstand erheben … glaubst du nicht auch? Ich muss mit Somerset Carlisle sprechen und zusehen, ob sich das arrangieren lässt.« Dann wandte sie sich ab und verließ den Raum ohne ein weiteres Wort. Es war ihr unmöglich, den Kummer, den sie empfand, und die Sehnsucht, die sie verzehrte, noch länger zu beherrschen.
    Pitt stand still, bis ihre Schritte verhallt waren. Dann wandte er sich um und ging zurück ins Vestibül. Dort war niemand außer dem Butler, der ihm die Tür öffnete, damit er auf die von Gaslaternen erhellte Straße hinaustreten konnte.
     
    Fast auf den Tag einen Monat später stand Pitt neben Charlotte im Thronsaal des Buckingham Palace. Er fühlte sich ausgesprochen unbehaglich in seinem neuen Anzug, einem blütenweißen Hemd mit hohem und engem Kragen und korrekten Schuhen. Sogar seine Haare waren ordentlich geschnitten und lagen glatt. Charlotte trug ein neues Kleid. In seinen Augen hatte sie nie schöner ausgesehen.
    Doch seine Aufmerksamkeit galt Vespasia, die in ihrem taubengrauen Kleid keine zwei Schritte entfernt stand. Ihr Haar schimmerte silbern, und die Perlenkette und Perlenohrringe schienen farblich genau darauf abgestimmt zu sein. Zwar reckte sie das Kinn empor, doch war ihr schmales Gesicht bleich. Obwohl Somerset Carlisle bereitstand und sie nicht aus den Augen ließ, lehnte sie es ab, sich auf seinen Arm zu stützen.
    Nicht weit vor ihnen hatte Charles Voisey ein Knie auf den Boden gestützt, während ihm eine kleine, untersetzte alte Frau eher schwerfällig ein Schwert auf die Schulter legte und ihm gebot, sich zu erheben.
    »Uns ist bewusst, welch bedeutenden Dienst Ihr uns, dem Thron sowie der Sicherheit und dem Wohlergehen Eures Landes erwiesen habt, Sir Charles«, sagte sie, jedes Wort deutlich betonend. »Vor aller Welt erkennen wir an, was Ihr, erfüllt von selbstlosem Mut und großer Treue, im Verborgenen geleistet habt.«
    Der Kronprinz, der einige Schritte
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