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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel
Autoren: Anne Perry
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…«
    Reginald Gleave, der den Angeklagten verteidigte, erhob sich von seinem Platz und wandte sich an den Richter. »My Lord, sicherlich ist sich Mr. Pitt darüber im Klaren, dass er hier lediglich äußern darf, was ihm aus eigener Anschauung bekannt ist. War er als Augenzeuge zugegen, als der Sessel beiseite geschoben wurde?«
    Der Richter wirkte müde. Ihm war klar, dass es bei diesem Prozess auf Hauen und Stechen gehen würde, eine Aussicht, die ihn mit Unbehagen erfüllte. Nichts würde unkommentiert bleiben, und sei es noch so belanglos.
    Pitt merkte, wie ihm vor Ärger über sich selbst die Röte ins Gesicht stieg. Selbstverständlich war ihm das bekannt. Er hätte besser aufpassen müssen. Auf keinen Fall hatte er sich einen Fehler zuschulden kommen lassen wollen, und schon war ihm einer unterlaufen. Er war unruhig. Seine Handflächen waren feucht. Juster hatte gesagt, alles komme auf seine Aussage an, denn die Anklage habe sonst niemanden, auf den sie sich voll und ganz verlassen könne.
    Der Richter sah zu Pitt hin.
    »Er hat Recht, Oberinspektor – auch wenn es den Geschworenen dann möglicherweise nicht ganz klar erscheint.«
    »Gewiss, my Lord.« Pitt hörte, wie gepresst seine Stimme klang. Zwar ging das auf die Anspannung zurück, doch würden andere es für den Ausdruck von Verärgerung halten. Er ließ seine Gedanken zu dem hellen Raum zurückkehren. »Da das oberste Bücherbrett ziemlich hoch lag, gab es eine kleine Bibliotheksleiter auf Rollen. Sie lag etwa einen Meter von den Füßen der Leiche entfernt am Boden, sowie drei Bücher. Eins von ihnen war geschlossen, die beiden anderen lagen geöffnet mit dem Rücken nach oben. Einige Blätter waren umgeknickt.« Er konnte es vor sich sehen, während er es sagte. »Auf dem obersten Bücherbrett klaffte eine Lücke von entsprechender Größe.«
    »Haben Sie aus diesen Beobachtungen irgendwelche Schlussfolgerungen gezogen, und haben diese Sie veranlasst, der Sache weiter nachzugehen?«, fragte Juster. Es klang harmlos.
    »Das Ganze erweckte den Anschein, als wäre Mr. Fetters mit der Leiter umgefallen, als er nach einem Buch gegriffen und dabei das Gleichgewicht verloren hat«, gab Pitt zurück. »Doktor Ibbs’ Worten nach hatte Fetters eine Schürfwunde seitlich am Kopf, und ein Bruch der Halswirbelsäule hatte den Tod herbeigeführt.«
    »Genau das hat er auch ausgesagt«, stimmte Juster zu. »Deckt sich das mit dem, was Sie selbst gesehen haben?«
    »Ursprünglich habe ich das angenommen …«
    Schlagartig trat Unruhe im Saal ein, und die Atmosphäre wurde feindselig.
    »… doch bei näherem Hinsehen sind mir einige kleine Unstimmigkeiten aufgefallen, die mich zweifeln ließen, sodass ich der Sache weiter nachgegangen bin«, endete Pitt.
    Juster hob die schwarzen Brauen. »Was waren diese Unstimmigkeiten? Bitte erläutern Sie die näher, damit wir Ihre Schlussfolgerungen nachvollziehen können, Mr. Pitt.«
    Das war eine unübersehbare Mahnung. Der ganze Fall stand und fiel mit diesen Einzelheiten, die nichts waren als bloße Indizien. Trotz wochenlanger Nachforschungen hatte sich kein Motiv gefunden, nichts, das Adinett hätte veranlassen können, Martin Fetters zu schaden. Die beiden Männer gehörten derselben Gesellschaftsschicht an, waren wohlhabend, weit gereist,
hatten einen großen gemeinsamen Bekanntenkreis und wurden von jedem, der sie kannte, gleichermaßen geachtet. Sie schienen ähnliche Ansichten zu vertreten, waren eng miteinander befreundet gewesen und hatten sich für eine Gesellschaftsreform eingesetzt.
    Pitt hatte sich innerlich schon oft auf die Situation vorbereitet, in der er sich jetzt befand: nicht etwa, um dem Gericht einen Gefallen zu tun, sondern um seiner selbst willen. Er hatte sich genauestens alle Einzelheiten angesehen, bevor er auch nur erwogen hatte, den Fall zur Anklage zu bringen.
    »Als Erstes waren da die Bücher, die am Boden lagen.« Er erinnerte sich, wie er sich danach gebückt und sie aufgehoben hatte. Beim Anblick des zerkratzten Leders und der geknickten Seiten hatte er Ärger empfunden. »Alle drei beschäftigten sich mehr oder weniger mit demselben Thema. Eines war eine Übersetzung von Homers Ilias , das zweite eine Geschichte des Osmanischen Reiches, und im dritten ging es um Handelswege im Nahen Osten.«
    Mit gespieltem Erstaunen sagte Juster: »Ich verstehe nicht, inwiefern dieser Umstand bei Ihnen Zweifel erregt haben kann. Würden Sie uns das erklären?«
    »Nun, die übrigen Bücher auf dem
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