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Mein Tag ist deine Nacht

Mein Tag ist deine Nacht

Titel: Mein Tag ist deine Nacht
Autoren: Melanie Rose
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Prolog
    A usgelassen zog mich Frankie über den staubigen Parkplatz auf den kurzgeschnittenen Rasen der Downs, dem alljährlichen Schauplatz des Epsom-Derbys, wo ich stehen blieb und die Herbstluft einatmete, froh darüber, endlich draußen zu sein: fort von den Autoabgasen der nahe gelegenen Straße und der Enge meiner kleinen Wohnung. Ich bückte mich, um meine dreijährige Terrierhündin von der Leine zu lassen, und als ich mich wieder aufrichtete, flitzte sie bereits übermütig davon. Lächelnd wünschte ich mir, ich könnte mit ebensolcher Hingabe hinter ihr hersausen.
    Stattdessen gab ich mich mit einem flotten Tempo zufrieden, holte sie schließlich ein, und gemeinsam setzten wir den vertrauten Weg auf den Epsom Downs fort, Frankie im geschäftigen Trippelschritt vorneweg. Ich ließ meine Gedanken schweifen und spürte, wie der Druck der vergangenen Woche von mir abfiel und ich mich entspannte.
    Als wir eine kleine Anhöhe erklommen, verschwand die Sonne hinter einer Wolke, und mit einem Mal herrschte völlige Windstille. Das verdorrte Gras und die fernen Bäume, einen Augenblick zuvor in der frühen Nachmittagssonne noch in satten Herbsttönen leuchtend, hatten einen unheimlichen gelblichen Farbton angenommen. Schaudernd zog ich meinen Schaffellmantel fester um mich und beschleunigte den Schritt.
    Frankie hatte ein paar kleine Bäume ins Visier genommen, und ich fluchte leise vor mich hin, hoffte, sie würde nicht gerade jetzt verschwinden, wo ich mich auf den langen Rückweg zum Auto begeben wollte. Auf einmal wurde es kalt, und der Himmel färbte sich lila und schwarz wie eine überreife Pflaume. Die Landschaft schien in eine unnatürliche Stille getaucht. Beklommen bemerkte ich, dass selbst die Vögel zu singen aufgehört hatten.
    Ein tiefes Grollen hallte über die fernen Anhöhen wider, und ein paar Sekunden darauf kam Frankie panisch zurückgestürmt und bewegte ihre Hinterbeine dabei derart schnell, dass es fast aussah, als stünden sie unter ihrer Schnauze hervor. Sie prallte gegen meine Schienbeine und winselte.
    Ich nahm sie hoch und drückte sie an mich, ohne mich darum zu kümmern, dass sie mir mit ihren Pfoten den Mantel schmutzig machte. Ihr warmer, lebendiger Körper und ihr Hundeatem auf meinem Gesicht gaben mir die Gewissheit, nicht versehentlich in die Stille eines Landschaftsgemäldes getreten zu sein.
    Voller Ehrfurcht betrachtete ich die beängstigende Schönheit des Schauspiels um mich herum. Das eigenartige Licht hatte die herbstlichen Bäume auf der weit entfernten Hügelkuppe bemalt und ihre Wipfel in Gold getaucht, und doch zeigte sich der Himmel mit jedem Augenblick dunkler und unheilvoller.
    Und dann setzte der Wind mit einer derartigen Wucht ein, dass ich unter dem Angriff zurücktaumelte. Er fegte mein schulterlanges braunes Haar nach hinten und umklammerte mit seiner kalten Hand mein Gesicht, so dass ich nach Luft schnappte. Frankie wand sich in meinen Armen, aber ich wollte sie nicht absetzen, da ich befürchtete, sie würde dann in ihrer Angst das Weite suchen.
    Ich befestigte das Ende der Hundeleine unter Mühen an ihrem karierten Halsband. Gerade wollte ich sie auf den Boden setzen, als ein schwarzer Labrador auf uns zugeschossen kam. Er hatte uns fast erreicht, als der erste Blitzstrahl den Himmel zerriss. Sekunden darauf folgte der Donnerschlag, und die beiden Hunde drückten sich an meine Beine, ohne sich mit den üblichen Schnüffelformalitäten abzugeben. Ich kauerte mich zu ihnen, da ich einmal gehört hatte, Blitze schlügen immer in den höchsten Punkt ein. Der wollte ich nicht sein.
    Wir drängten uns noch immer mit gesenkten Köpfen aneinander, wobei ich die Arme beschützend um die Hunde gelegt hatte, als mir jemand auf die Schulter tippte. Ich riss den Kopf hoch und sah einen Mann über uns stehen, in dessen Hand eine Hundeleine baumelte.
    »Alles in Ordnung?«, rief er mir über das Windgetöse hinweg zu.
    Vor Verlegenheit stieg mir die Röte ins Gesicht. Ich rappelte mich hoch und blickte unvermittelt in seine blauen Augen. Nachdem ich tief Luft geholt hatte, versuchte ich meinen aufflatternden Mantel zu schließen und gleichzeitig trotz der schweren Böen und Frankies beharrlichem Zerren nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
    Ein zweiter Blitzstrahl knisterte über uns, und wir zuckten beide unwillkürlich zusammen. Gedanken wirbelten durch meinen Kopf, unter anderem die Frage, wieso ich dem Traum einer jeden Frau genau dann begegnen musste, wenn ich
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