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Auch das Paradies wirft Schatten

Auch das Paradies wirft Schatten

Titel: Auch das Paradies wirft Schatten
Autoren: Heinz G. Konsalik
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    Eingebettet in den im Sommer wohltuenden Schatten dichter, alter Eichenkronen lag das Herrenhaus von Gut Aarfeld. Das große hölzerne Tor neben einer niedrigen, moosbewachsenen Umfriedungsmauer, der weite, sorgsam geharkte Vorplatz, die gepflegte Anfahrtsstraße, die zwischen fruchtbaren Feldern und prächtigen Waldbeständen hindurchführte, die in Schuß gehaltenen Gesindehäuser, Ställe, Scheunen und Geräteschuppen verrieten eine strenge und ordnende Hand, einen Blick für Zucht und Zweckmäßigkeit und zugleich – wenn man sich den hübschen, kleinen Park hinter dem Herrenhaus besah – auch eine Neigung zur Romantik und Träumerei. Nicht nur der ganze erste, sondern auch der zweite und dritte Eindruck dieses alten Gutes, das man im weiten Umkreis nur ›das Rittergut‹ nannte, waren wie Begegnungen mit einer längst verklungenen sorglosen Zeit, in welcher der Mensch noch Sinn für Schönheit und Besinnlichkeit, für ein gepflegtes Leben hatte.
    An diesem Morgen des Spätherbstes stand auf dem weiten Vorplatz des Herrenhauses ein großer, schlanker Herr in Reithosen und einem grünen Lodenrock. Er hatte die Reitgerte unter die rechte Achsel geklemmt und ging unruhig auf und ab, dazwischen immer wieder auf die Uhr an seinem kräftigen Handgelenk blickend. Der mit einem echten Gamsbart geschmückte Jägerhut saß ein wenig aus der Stirn zurückgeschoben auf dem Kopf und gab dadurch den Blick frei auf einige blonde Locken, die vereinzelt von silbernen Fäden durchzogen waren.
    Baron Pedro von Aarfeld runzelte unwillig die Stirn und strebte mit weit ausgreifenden Schritten der nächsten Scheune zu, aus der in den gleichen Sekunden beflissen ein kleiner, fuchsgesichtiger Mann herauskam, der seinen Herrn beobachtet hatte. Ein Knecht. In seine Augen trat, als der Baron sich ihm näherte, ein Zug von Unterwürfigkeit, wie er eben nur zu oft Leuten eigen ist, deren ganzes Leben darin besteht, anderen zu dienen. Der Baron liebte solche Servilität keineswegs, er wurde nicht müde, sein Personal dazu aufzufordern, ihm selbstbewußt und frei gegenüberzutreten, aber Erfolg hatte er damit nur bei einem: seinem Förster Peter Recke, der seinen Namen also gewissermaßen völlig zu Recht trug.
    Pedro von Aarfeld hatte die Reitgerte in die Hand genommen und schlug nun mit ihr gegen den hohen Schaft seines rechten Stiefels, dessen weiches Leder dadurch wieder einmal zu einer unverdienten Mißhandlung kam.
    »Paul«, sagte der Baron, und seine Stimme war sonor, ein wenig heiser, aber durchaus wohltönend, »stimmt meine Uhr? Ich hab' halb neun.«
    Der Pferdeknecht zerrte eine alte, vernickelte Zwiebel aus seiner Weste. Nach einem verdutzten Blick stieg ihm Verlegenheitsröte ins Gesicht, und er blieb stumm.
    »Paul, ich habe dich gefragt, wieviel Uhr du hast.«
    »Fünf nach zwei, Herr Baron.«
    »Was?«
    »Fünf nach zwei, Herr Baron. Sie ist mir stehengeblieben. Ich bitte um Verzeihung.«
    Aarfeld blickte den Pechvogel, der sein Unglück verfluchte, an, seufzte und sagte ironisch: »Ich verzeihe dir. Aber das nächste Mal lasse ich dich aufhängen.«
    Dann wandte er sich ab und ging zurück zum Herrenhaus, aus dessen Tür ihm sein um zwei Jahre jüngerer Bruder Siegurd entgegentrat. Siegurd trug einen eleganten Maßanzug, der in Schnitt und Stoff den besten Schneider verriet, ein rohseidenes Hemd und Maßschuhe. Ein scharf ausrasiertes schwarzes Bärtchen schmückte seine etwas spöttisch gewölbte Oberlippe, was dem schmalen, aristokratischen Gesicht die Note einer ziemlich aufgetragenen Nonchalance verlieh.
    »Ärger?« fragte er den Älteren und setzte sich auf das imposante schmiedeeiserne Geländer der Treppe, das ein Ahne im 16. Jahrhundert hatte anfertigen lassen. »Du machst ein ziemlich saures Gesicht, ich kenne dich doch. Was ist los?«
    »Ich verstehe das nicht.«
    »Was verstehst du nicht?«
    »Ich erwarte Dr. Faber mit dem neuen Katalog. Er ist seit einer halben Stunde überfällig.«
    »Na und? Er wird schon noch kommen.«
    »Ich hasse Unpünktlichkeit. Außerdem muß ich um halb zehn in der Stadt sein. Man erwartet mich dort.«
    »Dann kommst du eben erst später hin; davon wird die Welt nicht untergehen.«
    Pedro musterte den Jüngeren mißbilligend und sagte scharf: »Typisch! Solche Standpunkte vertrittst du! Mich solltest du aber schon besser kennen!«
    »Ja, sicher, du kommst mir vor wie einer, der eine Uhr verschluckt hat. Du lieber Himmel, exakt bis in die Knochen! Mach dich doch nicht
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