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Die Vermessung der Frau

Die Vermessung der Frau

Titel: Die Vermessung der Frau
Autoren: Regula Stämpfli
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Alters
dienen den neuen Herren mit inniger, schon fast religiöser Kosmetikhingabe!

    Die Vermesser-Wissenschaften sind in den letzten Jahren zu eigentlichen Religionen herangewachsen. Das haben auch die traditionellen Kirchen erkannt und reagieren in den USA mit esoterisch-unwirklichen Entwürfen des »Intelligent Design«. Dies macht es uns urteilskräftigen Menschen im Gegenzug wieder unheimlich schwer, gegen doofe Studien anzutreten, weil wir damit in Gefahr geraten, mit den religiösen Irren in einen Topf geworfen zu werden.

    Dass alle traditionellen Religionen durch die Vernunft in ihre Schranken gewiesen werden, ist wirklich großartig. Dieser Prozess ist die Grundlage für Freiheit. Wenn indessen nicht nur die Religionen versachlicht werden, sondern die Menschen, beginnt es, ungemütlich zu werden. Trotzdem reden, handeln und forschen alle so, um den Menschen möglichst rasch zur austauschbaren Ware zu verklären. Es gibt eine weitere Kritik an den überbordenden Rationalisten. Sie haben in all ihren Betrachtungen nie Sie oder mich gefragt, was wir von einem Menschenbild halten sollen, das nur noch kategorisiert wahrgenommen wird. »Was kosten unsere Alten?« ist eines der vielen schrecklichen Beispiele.

    Sie sehen: Viele Phänomene hängen mit einem Weltbild und uniformen Denkmustern zusammen, die selten kritisch diskutiert werden. Die Kritik an so banalen Schuhkaufmetaphern in Geschlechterstudien konzentriert sich meist auf offensichtlichen Sexismus, ohne zu merken, dass es um viel mehr geht, nämlich um Macht. Seit 20 Jahren sind wir mitten in einem philosophischen Wandel, der außerhalb der Universitäten kaum diskutiert wird. So bevölkern Populärstudien die Wissensseiten und Dokumentation der Print- und Bildmedien schlicht und einfach deshalb, weil sie leichter zu verstehen sind als tiefgründige
philosophische Abhandlungen. Kein Wunder, beschränken sich die meisten Menschen angesichts dieser Komplexität lieber auf ein geruhsames Privatleben. Und die Frauen kaufen Schuhe. Leider ändern sich dadurch weder das Bewusstsein noch der realitätsfremde Medien-, Wirtschafts- und Politik-Alltag.

    Angesichts der Flut unreflektierter ideologischer Berieselung haben die Frauen das Korsett ihrer Urgroßmütter schon im Stammhirn gespeichert. Sie nehmen, statt sich und ihr Leben sowie den Sinn desselben, ihren Körper unendlich ernst. Sie sehen in einer körperlichen »Vervollkommnungs-Strategie« ihr ganz persönliches Heilsversprechen. Die Logik Frau gleich Körper, Mann gleich Geist wandelt sich dann vom Klischee in gelebtes Leben. Dabei vergessen viele, dass ein Klischee noch belächelt wird, dessen Wiederholung aber mehr und mehr Beachtung erfährt und ab Tausend dann in eine Wissenschaft verkehrt wird.
    WAS HAT DAS DENN ALLES ZU BEDEUTEN?
    Wer Menschen wie Dinge behandelt, endet selbst als Ding. Aber Sie sind kein Joghurt! Vielleicht haben dies auch einige Populärwissenschafter gemerkt. Denn was sie in ihrem Jugendwahn vor 40 Jahren verkündeten, nämlich dass der Zenit von Menschen nach 25 Jahren vorbei sei, wird in jüngster Zeit revidiert. Hört, hört! Plötzlich sollen ältere Menschen ihre geistigen Höchstleistungen erst ab 60 Jahren (Männer) und ab 65 Jahren (Frauen) erreicht haben. Fantastische Neuigkeiten! Leider habe ich den leisen Verdacht, dass diese Studien nur damit zusammenhängen, dass nun auch die Forscher, die vor 40 Jahren mit derselben Verve auftraten, heute einfach selbst älter geworden sind und ihre Haut zu retten versuchen.

    Meine Überzeugung ist es übrigens, dass die Frage nach dem biologischen Zenit bei Menschen eh ein völlig falscher Ansatz ist. Dahinter steckt ein hierarchisches Leistungsdenken, das beim Menschen nichts zu suchen hat. Ständig diese Ranglisten! Ständig diese Obsession an Output, an messbaren Zielen und Ergebnissen! Dabei sind oft die Prozesse entscheidend, nicht das von Anfang an fest definierte Ziel!

    Ich bin manchmal fassungslos, wie selbstverständlich solches Denken geworden ist. So wurde ich in meiner Funktion als Intendantin des Internationalen Forums für Gestaltung in Ulm ernsthaft gefragt, für wen ich denn all die Gratisvorlesungen, die Diskussionen und Veröffentlichungen organisiere. Auf meine Antwort: »Für alle Menschen, die sich interessieren! Dies ist meine Interpretation des Stiftungszwecks, die politische Verantwortung von Gestaltern überall auf der Welt zu fördern«, erntete ich nur Kopfschütteln. Die Idee, etwas zu tun, ohne
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