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Die Vermessung der Frau

Die Vermessung der Frau

Titel: Die Vermessung der Frau
Autoren: Regula Stämpfli
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geben, dann sicher wenig über die menschliche Natur, dafür viel über die herrschende Machtverteilung.
    Die Evolutionsbiologen sind so willige Vollstrecker des Prozesses, alle menschlichen Zusammenhänge auf materielle Kombinationen so geschickt zu reduzieren, dass sie früher oder später auch verkauft werden können.

    »Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten« meinte Jean-Jacques Rousseau – viele Frauen fühlen sich erst mit Ketten von Tiffany wirklich frei.

    Der Befund ist einfach: Wir leben heutzutage in einer wahnsinnigen, die Philosophen würden sagen, entfremdeten Welt. Zählen statt Denken ist in, besonders in der Gesundheits- und Finanzindustrie. Zählen statt Denken formt nun auch unsere
Körper – oder Experimente, die das menschliche Wesen erfassen wollen.

    Der Neuropsychologe Craig Bennett von der University of California hat kürzlich eine Studie ganz nach meinem Geschmack publiziert. Er legte in einem hochwissenschaftlichen Experiment einen Probanden in den Kernspin-Tomographen, ließ ihn kognitive Aufgaben lösen und durchleuchtete währenddessen das Gehirn. Ein ganz normaler Vorgang also und ein üblicher naturwissenschaftlicher Ansatz. Das Experiment dauerte fünf Minuten, ergab wunderbare Bilder – offensichtlich hatte der Proband seine Aufgabe verstanden. Der Neuropsychologe Bennett zeigte die Bilder, und alle waren von den Erkenntnissen des Probanden tief beeindruckt.

    Einziges Problem der Geschichte: Der Proband war ein toter Fisch.

    Nun ja. Wenn in der »Biss«-Trilogie von Stephenie Meyer mittlerweile auch Vampire wie unsere besten Freunde die Nachbarschaft bevölkern, darf wohl auch ein toter Fisch Geistesblitze haben! Schließlich reden die Tierschützer schon lange davon, dass Fische fühlen können. Sie meinen aber nur die lebendigen. Denn der wirkliche Befund dieses großartigen Experimentes könnte ja sein, dass man es bei gleichem Resultat mit vielen Leuten wiederholen könnte. Sicher jedoch mit vielen Evolutionsbiologen.

    Was beim toten Fisch zum Lachen ist, bei Attraktivitätsforschern noch ziemlich unschuldig dahertrippelt, wird im Zusammenhang mit der Finanzwirtschaft sehr ernst. Denn die Populärwissenschaftler korrespondieren in ihrem Wahnsinn eins zu eins mit der globalen Finanzindustrie. Spätestens da bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Es wird dann wirklich eiskalt. Christina von Braun nennt dann die Umwertung aller Werte – das was ich die Verschiebung des Menschen zum Körper,
zur Materie nenne, »die lebende Münze«, womit die Professorin für Kulturgeschichte vor allem auch die Frauen meint, die gegen Geld ihre Körper im bestflorierenden Markt, dem der Prostitution, feilhalten müssen. Sie werden in einem späteren Kapitel dazu mehr erfahren.

    Diese kritischen Töne fehlen bei Attraktivitätsstudien und wissenschaftlicher Populärliteratur meistens. Ausgeblendet wird jeder politische Kontext. Niemand fragt: Wer bezahlt eigentlich diesen Schrott? Seit der Einführung von Bologna 1999 an unseren Universitäten und Fachhochschulen, eine der größten Bildungsreformen, die Europa seit der Aufklärung gesehen hat (und über welche weder abgestimmt wurde noch, dass dazu Wahlen stattfanden ...), haben die entpolitisierten Studien à l’americaine zugenommen. Das ist kein Zufall, sondern dahinter steckt die klare Erkenntnis, dass man ungebildeten Konsumenten weit mehr verkaufen kann als informierten.
    Hier ist die Kritik an den Populärstudien auch anzusetzen, doch weit gefehlt: Die Leitmedien, TV-Stationen, Talkshows, Biologielehrer, Ratgeberliteratur machen weiter wie bisher, nach dem Motto: Je häufiger wiederholt, desto wahrer. Deshalb kommen all die differenzierten Studien, die zeigen, dass nicht die Biologie, sondern beispielsweise der ökonomische Status darüber entscheidet, wie attraktiv Menschen eingeschätzt werden, nicht zum Zug. Ebenso fehlen alle Hinweise auf die großen wissenschaftlichen Fehler in allen Bestsellern, die nach dem Motto: »Männer vom Mars, Frauen von der Venus« gestrickt sind.

    Diese simplen Menschenbilder werden nun mit großer Wucht auch meinen Kindern in der Schule eingetrichtert. Fast scheint es, als ob Biologie mittlerweile auch die sprach- und geisteswissenschaftlichen Fächer ziemlich totalitär erobert hat. Die katholische Kirche hat den Katechismus, der Islam den Koran, die Juden haben die Thora, die Neo-Materialisten und Evolutionsanthropologen die Schulbücher. Und wir Frauen jeden
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