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Die Vermessung der Frau

Die Vermessung der Frau

Titel: Die Vermessung der Frau
Autoren: Regula Stämpfli
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Stellen Sie sich so hin, dass sie die Menschen nur sehen, aber nicht wirklich hören können. Nun werden Sie feststellen, dass Sie innerhalb weniger Minuten die Menschen nach ihrer Nationalität ziemlich gut einordnen können. Selbst wenn alle Badehose, Badeanzug oder Bikini tragen, verraten die Körperformen, die Gestik sowie die Haltung der Leute deren nationale Herkunft. Menschen aus unterschiedlichen Kulturen haben biologisch zwar dieselbe körperliche Zusammensetzung, bewegen sich jedoch unterschiedlich, gestikulieren anders und drücken sich verschieden aus. Menschen sind nicht nur Körper, sondern eben auch Kommunikation. Allein diese Beobachtung sollte eigentlich genügen, um Forscher, die uns Menschen via Naturgesetze biologisch homogenisieren und gleichmachen wollen, höflich auf die Relativität ihrer Aussagen hinzuweisen. Doch die Kraft zur Unterscheidung ist schrecklich unmodern geworden.

    Karl Grammer ist im deutschsprachigen Raum der Star unter den Evolutionsbiologen, multimedial gefeiert. Er ist zudem völlig in Mode. In Princeton, Harvard und Yale werden laufend Studien produziert, die sich vor allem dem animalischen Teil aller menschlichen Beziehungen widmen. Interessanterweise belegen die Studien mehrheitlich sämtliche Vorurteile, die einem durchwegs negativen Menschenbild entsprechen. Statt Sprache, Verhandeln und Kommunikation erfüllen die Menschen in
einem solchen Weltbild nur diverse seit Jahrhunderten angelegte biologische Programme.

    Die Menschenwelt teilt sich in dieser Logik besonders gerne in eine »Männchen«- und eine »Weibchenwelt«. Diese Männchen- und Weibchenwelt ist durchweg auf Selbsterhaltung und Fortpflanzung ausgerichtet. So schauen Männer laut Evolutionsbiologen bei ihrer Partnerinnenwahl stets ausschließlich auf deren Fertilität (naturwissenschaftlich dann als die Schönheitsnorm übersetzt, die zufällig dem Schönheitsideal der forschenden Männer entspricht), während sich Frauen an Männer halten, die höheren Status und ökonomische Sicherheit versprechen.

    Diese Aussagen belegen die Forscher gerne mit Studien aus dem weitgehend imaginären Jäger- und Sammlerzeitalter. Völlig ausgeklammert bleibt der historische, politische, ökonomische, sprachliche und gesellschaftliche Kontext. Nicht bedacht wird, dass in Ländern, in denen Frauen über wenig ökonomische und politische Macht verfügen, diese verständlicherweise bei der Wahl ihres Partners auf männlichen Status setzen. Deshalb investieren – auch wenn das sehr pauschal klingt – Russinnen lieber in ihre Oberweite als in ein Universitätsdiplom – ersteres ist eine Lebensversicherung, während das zweite weniger wert ist als Toilettenpapier. Ebenso logisch ist, dass heutige Mädchen zwischen 12 und 20 Jahren »Model« als ihren Lieblingsberuf angeben. Das wohl nicht in erster Linie, weil sich Mädchen »von Natur aus« ausschließlich als Körper zeigen, um ihrer »natürlichen« Exhibitionslust nachkommen, sondern weil »Model« einer der wenigen Frauen-«berufe« ist, in dem Frauen mit viel Glück Kohle machen. Zudem ist »Model« in einer dominanten Look-at-me-Kultur eine der wenigen Möglichkeiten für Frauen, überhaupt einmal wahrgenommen zu werden.

    Setzen sich diese Forschungen auch in den nächsten Jahren so erfolgreich wie in den letzten fünf Jahren fort, dann werden
wir in zehn, 20 Jahren diese Ideologie der Geschlechterdichotomie, die Frauen und Männer nicht als Menschen, sondern ausschließlich als Geschlechtswesen definiert, nicht nur glauben, sondern sie so weit verinnerlicht haben, dass wir sie dann als »natürliches« Bild lieben, essen, leben und zeigen. Das Sprechen und Denken jenseits der Geschlechter- und Menschenfixation werden wir dann mit Bestimmtheit verlernt haben.

    Mehr und mehr wird jede menschliche Qualität, die jenseits der Geschlechterdichotomie liegt, verneint. Das Geschlecht begleitet schon vor der Geburt jeden neuen Menschen. Die Geschlechterbeziehungen verkommen von archetypisch menschlichen Beziehungen, die während Jahrhunderten mit Kommunikation und mit Status zusammenhingen, zu unabänderlichen Naturgesetzen. So bestätigen sich Ideologie, frauenfeindliche Vorannahmen sowie sexistische Herrschaft unter dem Deckmantel »Wissenschaft« wie von selbst. Darin ähneln die Naturwissenschaften einmal mehr den fundamentalistischen Religionen, die weibliche Menschen von Geburt an auf eine Sonderrolle fixieren. Wenn Attraktivitätsstudien über irgendetwas Auskunft
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