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Die unsichtbare Sonne

Die unsichtbare Sonne

Titel: Die unsichtbare Sonne
Autoren: Poul Anderson
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diesem Planeten verschiedene Kulturen bei den Barbaren gab, die weniger autokratisch waren, zeigte deutlich genug, daß die Bewohner von Larsum diesen Zustand nicht als natürlich empfinden konnten.
    Weißgekleidete Priester, deren lange Mähnen vor Alter ergraut waren, gingen in Begleitung ihrer Schüler, die hellblaue Roben trugen, über die Terrassen der Pyramide. Schuster begrüßte sie fröhlich, erntete aber meistens nur erstaunte oder abweisende Blicke. Er ließ sich nicht stören, sondern kletterte zu der vierten Stufe hinauf, wo das Haus der Astrologen stand.
    In einem weitläufigen Raum dieses Hauses wurde er von einem Dutzend jüngerer Priester erwartet; die Geweihten saßen an einem runden Tisch vor ihm. »Guten Tag, guten Tag«, sagte Schuster strahlend. »Ich komme doch hoffentlich nicht zu spät?«
    »Nein«, antwortete Herktaskor, ein schlanker junger Mann, der sich so würdevoll betrug, wie es dem Sohn eines Herzogs anstand. »Wir warten allerdings gespannt auf die Enthüllungen, die Sie uns heute morgen versprochen haben, als Sie sich unser Buch der Sterne geben ließen.«
    »Schön, dann fangen wir am besten gleich an«, meinte Schuster. Er nahm seinen Platz an dem Tisch ein und breitete einige Papiere vor sich aus. »Haben Sie alle inzwischen die mathematischen Prinzipien verstanden, die ich Ihnen in den letzten Tagen erklärt habe?«
    Einige der Zuhörer starrten unsicher zu Boden, aber andere nickten zustimmend. »Ja«, antwortete Hertaskor. »Einfach wunderbar!« fügte er dann leiser hinzu.
    Schuster nahm eine Zigarre aus seinem Etui und zündete sie an, während er die jungen Priester nachdenklich betrachtete. Er konnte nur hoffen, daß sie die Wahrheit gesagt hatten; sein Projekt, das er ursprünglich nur als Zeitvertreib begonnen hatte, um einige neue Ideen in dieses stagnierende Gesellschaftssystem einzuführen, war plötzlich wichtiger als alles andere geworden. Erst gestern abend hatte David Falkayn gemeldet, daß Räder auf keinen Fall benützt werden durften, und jetzt…
    Er war jedoch davon überzeugt, daß Herktaskor weder log noch einer Selbsttäuschung erlegen war. Dieser junge Priester war auf seine Art wirklich intelligent – und auf dieser Grundlage konnte Schuster aufbauen. Mathematik und Astronomie gehörten zu den wissenschaftlichen Disziplinen, die hier besonders gepflegt wurden, was allerdings kein Wunder war, wenn die Religion behauptete, Gottes Willen durch Astrologie erfahren zu können. Algebra und Geometrie waren ebenfalls seit langer Zeit allgemein bekannt, so daß der Schritt zur Differentialrechnung nicht allzu groß war. Selbst der alte Sketulo, der Oberste Priester des Heiligtums, hatte keine Einwände gegen Schusters Vorlesungen erhoben und nur zur Bedingung gemacht, sie müßten innerhalb der Grenzen des Dogmas bleiben. Dadurch wurde nicht nur die intellektuelle Neugier der jüngeren Priester befriedigt, sondern die gebildete Klasse lernte auch, wie man das Volumen und die Fläche ungewöhnlicher Körper berechnete, was unter Umständen ganz nützlich sein konnte.
    »Ich wollte heute eigentlich die bereits erwähnten Prinzipien weiterentwickeln«, stellte Schuster fest. »Aber dann ist mir eingefallen, daß Sie vielleicht mehr Interesse an bestimmten astrologischen Auswirkungen haben könnten. Mit Hilfe der Differentialrechnung ist es nämlich möglich, die voraussichtliche Stellung der Planeten und Monde wesentlich genauer als bisher zu berechnen.«
    Seine Zuhörer richteten sich gespannt auf und starrten ihn neugierig an.
    »Das Buch der Sterne enthält unter anderem einige Tabellen, die das Ergebnis jahrhundertelanger Beobachtungen sind«, fuhr Schuster fort. »Während meiner Abwesenheit habe ich lange darüber nachgedacht.« Tatsächlich hatte er sie dem Schiffscomputer eingegeben. »Hier sind die Ergebnisse meiner Berechnungen.«
    Er betrachtete nachdenklich die Glut seiner Zigarre. Jetzt mußte er jedes Wort sorgfältig abwägen, denn ein falscher Zungenschlag konnte bedeuten, daß er ein Schwert zwischen die Rippen bekam.
    »Ich habe lange gezögert, ob ich Ihnen die Ergebnisse wirklich vorlegen sollte«, sagte er dann. »Auf den ersten Blick scheinen sie nämlich nicht mit dem Wort Gottes vereinbar, wie Sie es mir erläutert haben. Nach reiflicher Überlegung bin ich jedoch der Ansicht, daß Sie alle intelligent genug sind, die eigentliche Wahrheit zu erkennen, ohne sich von Äußerlichkeiten täuschen zu lassen.«
    Er machte eine Pause. »Weiter«,
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