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Die unsichtbare Sonne

Die unsichtbare Sonne

Titel: Die unsichtbare Sonne
Autoren: Poul Anderson
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sagte er nervös. »Besonders jetzt, nachdem die Lage so kritisch geworden ist. Die Leute hier haben keinen Respekt vor Ihnen, wenn Sie das … äh … Heiligtum zu Fuß betreten.«
    »Unsinn«, antwortete Meisterhändler Schuster kurz. »Warum soll ich meine kostbaren Knochen auf einem dieser gräßlichen Tiere riskieren? Auf der Erde bin ich einmal leichtsinnig genug gewesen, ein Pferd zu besteigen, aber ich wiederhole meine Fehler nicht gern.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Außerdem habe ich den Priestern bereits erklärt, daß ich mich nur deshalb nicht an das übliche Zeremoniell halte, weil ich auf solche reinen Äußerlichkeiten nicht mehr angewiesen bin. Das ist eine neue Idee hier – Schlichtheit als Tugend. Die jüngeren Geweihten sind geradezu begeistert davon.«
    »Richtig, neue Ideen sind hier förmlich ansteckend«, stimmte Mukerji zu. »Die Larsaner haben schon so lange keine mehr erlebt, daß sie in dieser Beziehung leicht zu begeistern sind … Aber die Priester sind sich darüber im klaren. Wenn Sie zuviel Unruhe erzeugen, warten sie vielleicht nicht, bis wir verhungert sind, sondern hetzen die Leute gegen uns auf, obwohl sie vor einer Strafexpedition Angst haben.«
    »Keine Angst«, beruhigte Schuster ihn lächelnd. »Ich horche die Leute nur aus, ohne ihre Glaubensgrundsätze jemals anzuzweifeln, und ich habe nicht die Absicht, etwa jetzt damit anzufangen. Ich setze einfach meine Vorlesungen fort, als hätten wir keinerlei Sorgen. Aber vielleicht kann ich meine Zuhörer dabei in einer bestimmten Richtung beeinflussen …« Er nahm einige beschriebene Blätter von seinem Schreibtisch und verließ die Kabine: ein untersetzter Mann in Kniehosen, Seidenstrümpfen, Rüschenhemd und goldbestickter Jacke, als ob er zu einem Empfang auf der Erde unterwegs sei.
    Er erreichte die Straße und ging in Richtung Stadt weiter. Um ihn herum herrschte reger Fußgängerverkehr, denn Nahrungsmittel und Rohstoffe wurden in die Stadt transportiert, von wo aus die Rohstoffe als Fertigwaren aufs Land zurückkehrten. Töpfer wankten unter Lasten vorbei, die Schuster nicht einmal hätte heben können; Fastigas wurden schwerbeladen vorübergeführt. Irgendein Herzog galoppierte mit seiner Leibwache die Straße entlang, während das gemeine Volk sich nach rechts und links drängte, um den Weg frei zu machen. Schuster winkte der Kavalkade so freundlich wie jedem Bauern zu, der ihn anrief. In den wenigen Erdwochen seit der Landung des Schiffes hatten die Aescaner alle Scheu vor den Fremden verloren, was allerdings kaum verwunderlich war, denn die Menschen wirkten schließlich auch nicht seltsamer als einige der Teufel und Engel, von denen sich die Bevölkerung umgeben glaubte, und schienen sehr viel verwundbarer zu sein. Selbstverständlich verfügten sie über geheimnisvolle Kräfte; aber das war auch bei jedem Dorfzauberer der Fall, und die Geweihten standen in unmittelbarer Verbindung mit Gott selbst.
    Die Stadt besaß keine Mauern, weil sie in historischer Zeit nicht mehr der Gefahr einer Eroberung ausgesetzt gewesen war. Trotzdem war das eigentliche Stadtgebiet scharf begrenzt und dicht bebaut; in den engen Gassen herrschte reges Leben, so daß Schuster unwillkürlich erleichtert aufatmete, als er endlich eine der Drei Brücken erreicht hatte. Nachdem er die Wächter des Heiligtums passiert hatte, ging er allein weiter, denn nur wer mit den Priestern zu tun hatte, durfte diesen Bezirk betreten.
    Der Trammina, der mitten durch die Stadt floß und sie in zwei Hälften teilte, hatte hier eine Insel gebildet. Die bogenförmigen Brücken aus Stein bildeten die einzige Verbindung zu der Insel. (Falkayn hatte von Rebo erfahren, daß es zulässig war, für bestimmte wichtige Zwecke bis zu einem Drittel der heiligen Figur zu benützen.) Die Insel verschwand fast unter der riesigen Stufenpyramide des Heiligtums. Auf den unteren Terrassen erhoben sich mit Säulen verzierte Gebäude, in denen die Geweihten lebten und arbeiteten. Der obere Teil der Pyramide enthielt nur noch Treppen, die zur Spitze führten. Dort brannte das Ewige Feuer vor dem dunklen Himmel. Offenbar hatten die Priester eine Erdgasquelle angebohrt, aber die Zitadelle war trotzdem in jeder Beziehung eindrucksvoll.
    Nur schade, daß die armen Bauern dafür Zwangsarbeit leisten und drückende Steuern ertragen müssen, dachte Schuster. Die Pyramide ist eigentlich nur ein glänzendes Symbol ihrer Unfreiheit. Allein die Tatsache, daß es anderswo auf
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