Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten
Autoren: Thomas Pregel
Vom Netzwerk:
– ein hässlicher kleiner Dogma-Streifen.
    Wieder einmal war ich in Selbstmitleid versunken, hatte mich randvoll mit Jammer und Elend gefühlt wie ein Slum in der Dritten Welt. Hinzu kamen Unruhe und Rastlosigkeit, Kinder des Wunsches, das selbst gerissene Loch in mir zu füllen, mit egal was, Hauptsache, meiner tönenden Leere, ihrem Wehklagen und Selbstvorwürfen stopfte es das Maul. Ich hatte mich gerade, vor drei Tagen erst, endgültig von Hannes getrennt, meinem letzten Freund, weil er mir zu dicht auf den Pelz gerückt war, weil er mir auf die Schliche gekommen war. Das hab ich ihm natürlich so nicht gesagt. Stattdessen habe ich ihm also weiszumachen versucht, dass ich gerade keine Beziehung eingehen könne, weil ich mehr Zeit für mich bräuchte, ich hätte nämlich mit einer neuen Bilderserie begonnen, für die ich alle meine Konzentration benötigte. Da bliebe für einen festen Freund zu wenig Aufmerksamkeit übrig, er, Hannes, würde sich doch nur zurückgesetzt fühlen und darüber unglücklich werden und so weiter und so fort. Dass ich ihn nicht liebte, mochte ich ihm nicht sagen, denn das wäre auch nur die halbe Wahrheit gewesen und viel zu verletzend. Ich empfand etwas für ihn, mehr als Sympathie und keine Liebe auf den ersten Blick, und trotzdem hatte ich ihn lieber in die Wüste geschickt. Und deshalb ging es mir jetzt so schlecht. Mein Gewissen sagte mir, sich in einer Endlosschleife wiederholend: Du hast voreilig gehandelt, er hat dich geliebt, du hast sein Vertrauen missbraucht, nicht er deins.
    Die Schuldgefühle kamen mir schon schmalzig zu den Ohren raus, zur Strafe hatte ich mich zu einem Wochenende Menschenabstinenz verdonnert, und so saß ich also an einem Freitagabend vor der Glotze und bedauerte meine klägliche Existenz. Überall in der Stadt war was los, winkte die Ablenkung, doch ich saß mir zu Hause den Hintern platt. Wenn ich wenigstens wirklich hätte arbeiten können, ich hätte mich nicht länger beschwert. Leider kann ich nur malen, wenn meine Seele einigermaßen ruhig ist. Tobt in ihr dagegen ein Sturm, überträgt sich dieses Unwetter sofort auf die Leinwand und vernichtet jede Technik, Struktur und Komposition, sodass am Ende nichts anderes als ein armseliges Tohuwabohu ohne Sinn und Verstand und nachvollziehbarer Botschaft dabei herauskommt, auf das ich mich mit bellendem Hass stürze und es mit Krallen und Reißzähnen vernichte. Hinterher stehe ich als Komplettversager da und versinke erst recht in Selbstzweifel und Depression.
    Ich versuchte es also erst gar nicht mit Ablenkung durch Kunst. Eher dachte ich daran, meine Nerven durch Wichsen zu beruhigen. Dann überlegte ich, ob es nicht besser wäre, mir von einem anderen Kerl einen runterholen zu lassen. Hier war die nächste Sexparty niemals weit, Nacktsein im Dunkeln als Lebensgefühl, Körper – Schwänze – gefeiert von namenlosen Händen. Es hätte schnell, schmutzig und befriedigend ablaufen können. Aber ich hatte es mir ja verboten. Verboten, auch weil ich wusste, dass schneller Sex in einer solchen Stimmungslage alles andere als eine gute Medizin für mich ist. Ich wollte keinen anonymen Fick in der Dunkelheit, wenn ich so drauf war wie jetzt, ich wollte zärtlich geliebt, gehalten werden, am besten gleich vom nächsten Traumprinzen.
    Fast wäre ich schwach geworden, die Aussicht auf heiße Haut ohne klare Gesichter und Stimmen, die nur das Nötigste sagen, auf lustvolles Fleisch in nachtschwarzen Räumen war einfach zu verlockend. Diese Kombination war so ideal für einen Tagtraum, denn obwohl die Handlung echt ist, bleibt alles andere der Fantasie überlassen. Das ist es, was ich so an diesen überheizten Dunkelkammern liebe. Zwar habe ich es darin mit echtem Fleisch und Blut zu tun, aber trotzdem nicht mit echten Menschen, sondern nur mit ihren Abziehbildern. Es geht dabei einzig um meine Begierde, und die sucht sich so noch immer am zügellosesten ihre Befriedigung.
    Ich wäre furchtbar gerne losgezogen.
    Ich zog los.
    Ich schloss mit meinem hippeligen Ich einen Kompromiss und ging in die Disco. Ins
Schwuz
genauer gesagt, wo billige Pop- und Schlagermusik aus allen Röhren dröhnte. Ich mag keine Musik, egal welcher Art, sie geht mir grundsätzlich auf den Geist. Ich bevorzuge die Stille, und zwar nicht nur wenn ich arbeite. Von allen Künsten ist Musik die überflüssigste, sie kommt sogar noch vor der Lyrik mit ihrem prätentiösen Gehabe, sie wurde von und für Leute erfunden, die die Stille nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher