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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten
Autoren: Thomas Pregel
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ertragen können, die eintritt, wenn sie mal wieder nur untätig rumsitzen, weil sie zu fantasielos sind, um sich eine Beschäftigung für sich selbst auszudenken. – Ich hasse Musik und ich hasse Tanzen, und alle anderen waren wegen genau dieser beiden Dinge ins
Schwuz
gekommen. Es war unglaublich laut, und auf den Tanzflächen drängelten sich Männer von jung bis alt. Sie alle hatten Spaß.
    Ich war ja nur zum Schauen gekommen, um mir nicht ganz so allein und verlassen, nicht ganz so feige und verkommen vorzukommen. Ich wollte einen Kokon aus Menschenfleisch um mich herum, um mich sicher und geborgen fühlen zu können. Und um diesen Effekt zu beschleunigen, fing ich sofort an zu trinken. Kein Bier, keinen Wein, sondern Mischgetränke, klebrig süß und ohne Umschweife ins Blut gehend. Ich suchte mir einen Platz an der Bar hinten in der Pepsi Boston Lounge, wo die Tanzfläche am kleinsten und das Gedudel noch am leisesten ist. Hierhin zogen sich die Partygäste zurück, die mal eine kleine Pause vom rauschhaften Treiben machen wollten, um mit ihren Freunden zu quatschen, einen Flirt zu vertiefen oder einfach mal in Ruhe eine Zigarette zu rauchen. Hier war ich richtig und hatte Glück und fand einen freien Hocker am linken Ende des Tresens, direkt an der Wand, sodass ich mich an diese mit dem Rücken lehnen und den ganzen Raum überblicken konnte.
    In der Hauptsache achtete ich darauf, dass mein Glas nicht leer wurde, ansonsten gab ich mich so unnahbar wie möglich. Zweimal schnorrte ich mir eine Zigarette, obwohl ich Rauchen hasse – ich rauche nur, wenn ich mich beschissen fühle und mir von irgendeinem Fremden einen Glimmstängel erbetteln kann oder wenn es dabei hilft, den gerade begehrten Typen aufzureißen –, und spießte all die hübschen fröhlichen Kerle um mich herum mit meinen abschreckend gierigen Blicken auf, um sie mir vom Leib zu halten. Ein Verbot ist ein Verbot ist ein Verbot.
    Nach und nach verlor ich die Kontrolle über meine physischen und psychischen Reflexe und begann, mich zu entspannen. Nicht nur fiel es mir jetzt immer schwerer, nicht vom Barhocker zu rutschen, sondern auch, die Leute, die immer näher an mich heranrückten, krampfhaft auf Distanz zu halten – und ehe ich mich versah, fand ich mich schon in eine Unterhaltung mit gleich mehreren Typen verwickelt. Jemand gab die erste Runde Tequila aus, ich die nächsten. Jemand bot bunte Pillen an, alle nahmen, nur ich nicht und bat mit einem Glas Wodka für jeden um Verzeihung. Ich nehme keine Drogen mehr, ich war zu oft auf einem schlechten Trip. Dann wird das, was ich sonst nur male und von mir streng getrennt betrachten kann, zu einem Teil von mir, dann verwandele ich mich in eine blutrünstige Folterszenerie, die mich die dargestellten Qualen beinahe schon körperlich erfahren lässt, und ich fange an, zu brüllen und zu schreien und mir vor lauter Angst in die Hose zu scheißen.
    Die Nacht zog sich derweil hin, seit einer geraumen Weile entleerte sich die Disco schon wieder in den frühen Morgen. Die Männer, die näher anzuschauen ich mir nicht gestattet hatte, um ihrer Verlockung nicht zu erliegen, gingen nach Hause oder zogen weiter zur nächsten Party, allein, zu zweit oder mehreren. Ich bildete mir meinen Teil ein und sah ihnen neidisch nach, selbst denjenigen, die ich ganz und gar nicht attraktiv fand. Auch mein kleiner, volltrunkener Gesprächskreis löste sich auf. Wir hatten die ganze Zeit nur dummes Zeug gefaselt, deshalb war es eigentlich nicht weiter schade drum. Aber sie ließen mich allein zurück, einer nach dem anderen, und das empfand ich wie immer als Kränkung. Besonders zwei von ihnen, ein süßes Pärchen, hatten es mir angetan, und ich hätte, Verbot hin oder her, nichts dagegen gehabt, wenn sie mich in dieser Nacht in ihre Mitte genommen hätten. Ich konnte ein wehmütiges Seufzen nicht unterdrücken, als sie mich, vom Alkohol rührselig geworden, zum Abschied umarmten und eine gute Nacht wünschten und »bis bald« sagten. Mit einem Ruck wandte ich mich von ihren verschwindenden Rücken und Hinterköpfen ab und der Bar zu und orderte den nächsten Tequila für den Rest von uns.
    Das waren nur noch zwei, neben mir ausgerechnet derjenige aus der Gruppe, der sich am wenigsten durch gutes Aussehen, dafür aber durch die lauteste Klappe ausgezeichnet hatte. Er trug ein so grellbuntes Hawaiihemd, dass er damit selbst auf den namensgebenden Inseln Hausverbot erhalten hätte, und dazu eine grüne Jeans und rote
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