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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Autoren: Milan Kundera
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bedrohten. Warum sollte er also darauf verzichten? Das schien ihm ebenso absurd, wie wenn er es sich versagt hätte, zum Fußball zu gehen.
    Konnte man aber noch von Freude reden? Schon auf dem Weg zu einer Freundin verspürte er einen Widerwillen, und er schwor sich, sie zum letzten Mal zu sehen. Er hatte Teresas Bild vor Augen und mußte sich schnell betrinken, um nicht mehr an sie zu denken. Seit er sie kannte, konnte er nur noch unter Alkohol mit anderen Frauen schlafen. Aber gerade durch den Alkoholgeruch kam Teresa seinen Seitensprüngen noch leichter auf die  Spur.
    Er war in eine Falle geraten: immer, wenn er zu einer anderen ging, hatte er keine Lust mehr auf sie, kaum war er auch nur einen Tag ohne sie, wählte er schon eine Telefonnummer, um sich zu verabreden.  Am wohlsten fühlte er sich bei Sabina, weil er wußte, daß sie diskret war, er mußte nicht befürchten, entdeckt zu werden. Ihr Atelier erinnerte ihn an sein vergangenes Leben, sein idyllisches Junggesellenleben.
    Vielleicht war er sich selbst nicht darüber im klaren, wie sehr er sich verändert hatte: er fürchtete, zu spät nach Hause zu kommen, weil Teresa auf ihn wartete. Einmal bemerkte Sabina, daß er während des Liebesaktes auf die Uhr schaute und sich bemühte, schneller zum Ende zu kommen.
    Sehr gelassen spazierte sie daraufhin nackt im Atelier umher, stellte sich dann vor die Staffelei mit einem halbfertigen Bild und beobachtete Tomas von der Seite, wie er sich in Windeseile anzog.
    Er war schon angekleidet, nur ein Fuß war noch nackt. Er schaute herum, dann kniete er sich nieder und suchte etwas unter dem Tisch.
    Sie sagte: »Wenn ich dich so sehe, habe ich den Eindruck, daß du dich eben in das ewige Thema meiner Bilder verwandelst. Die Begegnung zweier Welten. Eine Doppelbelichtung. Hinter den Umrissen von Tomas dem Libertin erscheint das unglaubliche Gesicht des romantisch Verliebten.  Oder umgekehrt: durch die Silhouette des Tristan, der nur an seine Teresa denkt, sieht man die schöne, verratene Welt des Libertin. «    Tomas richtete sich auf und hörte Sabinas Worten geistesabwesend zu.
    »Was suchst du denn?« fragte sie.
    »Eine Socke.«
    Sie durchsuchten zusammen den ganzen Raum, dann ging er wieder auf die Knie und schaute nochmals unter den Tisch.
    »Hier gibt es keine Socke«, sagte Sabina. »Du bist sicher schon ohne gekommen.«
    »Wie hätte ich ohne kommen können!« schrie Tomas und blickte auf seine Uhr, »ich bin ganz bestimmt nicht nur mit einer Socke gekommen!«
    »Das ist nicht ausgeschlossen. Du bist in letzter Zeit wahnsinnig zerstreut. Ständig hast du es eilig, ständig schaust du auf die Uhr. Da brauchst du dich nicht zu wundern, wenn du vergißt, eine Socke anzuziehen.«
    Er war schon entschlossen, den Fuß nackt in den Schuh zu stecken.
    »Es ist kalt draußen«, sagte Sabina, »komm, ich leih dir einen Strumpf!«
    Sie hielt ihm einen langen weißen Netzstrumpf hin.
    Er wußte nur zu gut, daß es sich um einen Racheakt handelte, weil er beim Lieben auf die Uhr geschaut hatte. Die Socke mußte sie irgendwo versteckt haben. Und da es tatsächlich kalt war, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Er ging nach Hause, an einem Fuß eine Socke, am anderen einen Damenstrumpf, den er über dem Knöchel aufgerollt hatte.
    Seine Situation war ausweglos: in den Augen seiner Freundinnen war er schmählich gebrandmarkt durch seine Liebe zu Teresa, in den Augen Teresas durch seine Liebesabenteuer mit den Freundinnen.
    Um ihre Qualen zu lindern, heiratete er sie und besorgte ihr einen jungen Hund. (Endlich konnte sie die Untermiete aufgeben, wo sie schon längst nicht mehr wohnte.) Die Bernhardiner-Hündin eines Kollegen hatte geworfen.
    Der Vater der Welpen war der Schäferhund des Nachbarn.  Keiner wollte die kleinen Bastarde haben, und dem Kollegen tat es leid, sie zu töten.
    Tomas suchte sich einen Welpen aus und wußte, daß die anderen sterben mußten. Er kam sich vor wie ein Staatspräsident, der von vier zum Tode Verurteilten nur einen begnadigen durfte. Schließlich entschied er sich für ein junges Weibchen, dessen Körper an den Schäferhund erinnerte, der Kopf hingegen an die Bernhardinermutter. Er brachte es Teresa. Sie hob das Hündchen hoch und drückte es an die Brust. Sogleich pinkelte es auf ihre Bluse.
    Dann mußte ein Name gefunden werden. Tomas wollte, daß man schon dem Namen anmerkte, daß der Hund Teresa gehörte. Ihm kam das Buch in den Sinn, das sie unter dem Arm gehalten
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