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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Autoren: Milan Kundera
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lautes Zähneklappern.
    Teresa war zufällig nach Hause gekommen, ohne daß er es bemerkt hatte. Sie hielt ein Fläschchen mit einem Beruhigungsmittel in der Hand und goß sich den Inhalt in den Mund. Ihre Hand zitterte so sehr, daß das Glasfläschchen gegen ihre Zähne schlug.
    Er stürzte auf sie zu, als müßte er sie vor dem Ertrinken retten. Das Baldrianfläschchen fiel zu Boden und ergoß sich auf den Teppich. Sie wehrte sich, wollte sich ihm entwinden, und er hielt sie eine Viertelstunde lang fest wie in einer Zwangsjacke, bis sie sich beruhigt hatte.
    Er wußte, daß er sich in einer Situation befand, die durch nichts zu rechtfertigen war, weil sie auf einer absoluten Ungleichheit beruhte: Noch bevor sie seine Korrespondenz mit Sabina entdeckt hatte, waren sie eines Abends mit ein paar Freunden in eine Bar gegangen, um Teresas neue Stelle zu feiern. Sie hatte die Arbeit im Labor aufgegeben und war Fotografin bei der Wochenzeitschrift geworden. Da Tomas nicht gern tanzte, nahm sich einer seiner jungen Kollegen Teresas an. Sie bewegten sich wunderbar auf dem Parkett, und Teresa erschien ihm schöner denn je. Verblüfft beobachtete er, mit welcher Präzision und Fügsamkeit sie dem Willen ihres Partners um Sekundenbruchteile zuvorkam. Dieser Tanz schien ihm zu verraten, daß ihre Opferbereitschaft, ihr leidenschaftlicher Wunsch, alles zu tun, was sie Tomas von den Augen ablesen konnte, nicht notwendigerweise an seine Person gebunden war, sondern daß sie bereit gewesen wäre, dem Ruf jedes Mannes zu folgen, den sie an seiner Statt getroffen hätte. Es fiel ihm nicht schwer, sich Teresa und seinen Kollegen als Liebespaar vorzustellen. Gerade diese Leichtigkeit, mit der er sich das vorstellen konnte, verletzte ihn. Teresas Körper war mühelos mit jedem anderen männlichen Körper im Bett vorstellbar, und dieser  Gedanke verdarb ihm die Laune. Als sie spät in der Nacht nach Hause kamen, gestand er ihr seine Eifersucht.
    Diese absurde Eifersucht, die sich auf eine rein theoretische Möglichkeit bezog, war der Beweis dafür, daß er ihre Treue für eine unbedingte Voraussetzung hielt. Wie konnte er ihr verübeln, daß sie auf seine sehr realen Freundinnen, eifersüchtig war?
    8.
    Tagsüber gab sie sich (mehr oder weniger erfolgreich) Mühe zu glauben, was Tomas sagte, und so fröhlich zu sein wie früher. Aber die am Tage gebändigte Eifersucht brach um so heftiger aus in ihren Träumen, die jedesmal in lautem Schluchzen endeten, und er konnte sie nur beruhigen, indem er sie weckte.
    Die Träume wiederholten sich wie Themen mit Variationen oder Episoden einer Fernsehserie. Oft kehrten zum Beispiel Träume von Katzen wieder, die ihr ins Gesicht sprangen und ihr die Krallen in die Haut schlugen. Dieser Traum läßt sich ganz einfach erklären: in der tschechischen Umgangssprache ist >Katze< eine Bezeichnung für eine attraktive Frau. Teresa fühlte sich bedroht von Frauen - von allen Frauen. Alle Frauen waren potentielle Geliebte von Tomas, und sie hatte vor ihnen Angst.
    In einem anderen Traumzyklus wurde sie in den Tod geschickt. Als Tomas sie wieder einmal mitten in der Nacht wecken mußte, weil sie vor Entsetzen schrie, erzählte sie ihm: »Es war in einem großen Hallenbad. Wir waren ungefähr zwanzig. Nur Frauen. Wir waren alle nackt und mußten ums Schwimmbecken herummarschieren. Unter dem Dach hing ein Korb, in dem ein Mann stand. Er trug einen breitkrempigen Hut, der sein Gesicht verdeckte, doch ich wußte, daß du es warst. Du hast uns Befehle erteilt. Du hast geschrien. Wir mußten beim Marschieren singen und Kniebeugen machen. Wenn eine Frau es nicht schaffte, hast du mit der Pistole auf sie geschossen, und sie fiel tot ins Bassin. In dem Moment brachen alle in Lachen aus und sangen noch lauter.
    Und du hast uns nicht aus den Augen gelassen, und wenn wieder eine Frau eine falsche Bewegung machte, hast du sie erschossen. Das Schwimmbecken war voller Leichen, die dicht unter der Wasseroberfläche schwammen. Ich wußte, daß ich keine Kraft mehr hatte für die nächste Kniebeuge und du mich erschießen würdest!«
    Der dritte Traumzyklus erzählte von Teresas Tod.  Sie lag in einem Leichenauto, das so groß war wie ein Möbelwagen. Um sie herum lagen lauter tote Frauen. Es waren so viele, daß die hintere Tür offengelassen werden mußte und ein paar Beine herausragten.
    Teresa schrie: »Ich bin doch nicht tot! Ich spüre ja noch alles!«
    »Wir spüren auch alles«, lachten die Leichen.
    Sie lachten
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