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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Autoren: Milan Kundera
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hingegen als Ausdruck reiner Langmut.
    Nun sah sie ein, wie ungerecht sie gewesen war: hätte sie für Tomas wahrhaftig eine große Liebe empfunden, so wäre sie mit ihm im Ausland geblieben! Dort war Tomas zufrieden gewesen, dort hatte sich ein neues Leben vor ihm aufgetan!
    Und trotzdem war sie ihm weggelaufen! Gewiß, sie hatte sich selbst eingeredet, aus Großmut so gehandelt zu haben, um ihm nicht zur Last zu fallen. Aber war diese Großmut nicht eine bloße Ausrede gewesen? In Wirklichkeit hatte sie gewußt, daß er zu ihr zurückkehren würde! Sie hatte ihn zu sich gerufen, sie hatte ihn immer weiter in die Tiefe gezogen, wie die Nymphen die Bauern ins Moor locken, um sie dort versinken zu lassen. Sie hatte einen Moment, in dem er an Magenkrämpfen litt, dazu mißbraucht, ihm das Versprechen abzuringen, aufs Land zu ziehen! Wie hinterlistig sie doch sein konnte! Sie rief ihn zu sich, als wollte sie ihn immer wieder auf die Probe stellen, ob er sie auch wirklich liebte, sie hatte ihn so lange gerufen, bis er sich hier befand: ergraut und müde, mit halbverkrüppelten Händen, die nie wieder ein Skalpell halten konnten!
    Sie befanden sich an einem Ort, von dem es kein Wegkommen mehr gab. Wohin hätten sie von hier noch gehen können? Ins Ausland würde man sie nie mehr reisen lassen. Nach Prag konnten sie ebenfalls nicht mehr zurückkehren, niemand würde ihnen dort Arbeit geben. Und in ein anderes Dorf zu ziehen, dafür gab es keinen Grund.
    Mein Gott, mußten sie wirklich bis hierher kommen, damit sie endlich glaubte, daß er sie liebte?
    Endlich war es ihm gelungen, das Rad wieder einzusetzen.
    Er setzte sich ans Steuer, die Männer schwangen sich auf die Ladefläche, und der Motor sprang an.
    Sie ging nach Hause und ließ ein Bad einlaufen. Sie lag im heißen Wasser und sagte sich, daß sie ihr Leben lang ihre Schwäche gegen Tomas mißbraucht hatte. Wir alle sind geneigt, in der Stärke den Schuldigen und in der Schwäche das unschuldige Opfer zu sehen. Jetzt aber wurde es Teresa bewußt: in ihrem Fall war es genau umgekehrt! Selbst Teresas Träume führten ihm ihre Qualen vor Augen, als wüßten sie Bescheid über die einzige Schwäche dieses starken Mannes und wollten ihn zum Rückzug bewegen! Ihre Schwäche war aggressiv und zwang ihn fortwährend zur Kapitulation, bis er schließlich aufhörte, stark zu sein und sich in ein Häschen in ihren Armen verwandelte. Sie dachte ständig an diesen Traum.
    Sie stieg aus der Wanne und suchte sich ein Kleid aus. Sie wollte ihr schönstes Kleid anziehen, um ihm zu gefallen, um ihm eine Freude zu machen.
    Kaum hatte sie den letzten Knopf zugeknöpft, als Tomas lärmend ins Haus gestürzt kam, gefolgt vom Vorsitzenden der Genossenschaft und einem auffallend blassen jungen Bauern.
    »Schnell!« rief Tomas, »einen starken Schnaps!«
    Teresa holte die Sliwowitzflasche. Sie goß ein Glas voll, und der junge Mann leerte es in einem Zug.
    In der Zwischenzeit hatte sie erfahren, was geschehen war: der Bauer hatte sich bei der Arbeit den Arm an der Schulter ausgerenkt und schrie vor Schmerzen. Niemand wußte, was man mit ihm tun sollte, und so wurde Tomas gerufen, der ihm mit einer einzigen Bewegung den Arm wieder einrenkte.
    Der junge Mann trank noch ein Glas und sagte zu Tomas: »Deine Frau ist heute verdammt schön!«
    »Dummkopf«, sagte der Vorsitzende, »Frau Teresa ist immer schön.«
    »Ich weiß, daß sie immer schön ist«, sagte der junge Mann, »aber heute ist sie auch noch schön angezogen. In diesem Kleid habe ich Sie noch nie gesehen. Haben Sie etwas Besonderes vor?«
    »Nein. Ich habe es Tomas zuliebe angezogen.«
    »Doktor, du hast es gut«, lachte der Vorsitzende, »meine Alte tut so was nicht, sich für mich schön anziehen.«
    »Deswegen gehst du ja auch mit deiner Sau spazieren, und nicht mit deiner Frau«, sagte der junge Mann und lachte lange.
    »Was macht Mephisto überhaupt?« sagte Tomas, »ich habe ihn schon mindestens . «, er überlegte: »schon mindestens seit einer Stunde nicht mehr gesehen!«
    »Er wird sich nach mir sehnen«, sagte der Vorsitzende.
    »Wenn ich Sie in diesem Kleid sehe, möchte ich am liebsten mit Ihnen tanzen gehen«, sagte der junge Mann zu Teresa.
    »Würdest du sie mit mir tanzen gehen lassen, Doktor?«
    »Wir werden alle tanzen gehen«, sagte Teresa.
    »Fährst du mit?« sagte der junge Mann zu Tomas.
    »Aber wohin?« fragte Tomas.
    Der Bauer nannte eine Stadt in der Umgebung, wo es ein Hotel mit einer Bar und einer
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