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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Autoren: Milan Kundera
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den ersten Traum hinüberglitt. Ihr Schlaf lag vollkommen in seiner Macht, und sie schlief in dem Augenblick ein, den er bestimmte.
    Wenn sie schliefen, hielt sie ihn wie in der ersten Nacht: mit fester Hand umklammerte sie sein Handgelenk, einen Finger oder seinen Knöchel. Wollte er von ihr abrücken, ohne sie zu wecken, mußte er mit List vorgehen: er befreite seinen Finger (das Handgelenk, den Knöchel) aus ihrer Umklammerung, was sie jedesmal halb aufweckte, weil sie ihn selbst im Schlaf aufmerksam bewachte. Um sie zu beruhigen, schob er ihr statt seines Handgelenks irgendeinen Gegenstand in die Hand (einen zusammengerollten Pyjama, ein Buch, einen Schuh), den sie dann fest umklammerte, als wäre er ein Teil seines Körpers.
    Einmal, als er sie gerade eingeschläfert hatte, und sie sich im Vorzimmer des ersten Schlafes befand, wo sie noch auf seine Fragen antworten konnte, sagte er zu ihr: »So. Und jetzt gehe ich.« »Wohin?« fragte sie. »Fort«, antwortete er streng. »Ich gehe mit dir!« sagte sie und richtete sich im Bett auf. »Nein, das geht nicht. Ich gehe für immer«, sagte er, verließ das Zimmer und trat in die Diele. Sie stand auf und folgte ihm mit blinzelnden Augen. Sie trug ein kurzes Hemdchen, unter dem sie nackt war. Ihr Gesicht war starr und ohne Ausdruck, ihre  Bewegungen jedoch energisch. Tomas ging hinaus auf den Hausflur (den Gemeinschaftsflur der Mietskaserne) und schloß vor Teresa die Tür. Sie öffnete sie brüsk und folgte ihm. Im Halbschlaf war sie überzeugt davon, daß er für immer weggehen wollte und sie ihn zurückhalten müßte. Er ging die Treppe hinunter bis zum ersten Absatz und wartete auf sie. Sie trat auf ihn zu, nahm ihn an der Hand und holte ihn zu sich ins Bett zurück.
    Tomas sagte sich: Mit einer Frau schlafen und mit einer Frau einschlafen sind nicht nur zwei verschiedene, sondern geradezu gegensätzliche Leidenschaften. Liebe äußert sich nicht im Verlangen nach dem Liebesakt (dieses Verlangen betrifft unzählige Frauen), sondern im Verlangen nach dem gemeinsamen Schlaf (dieses Verlangen betrifft nur eine einzige Frau).
    7.
    Mitten in der Nacht fing sie an, im Schlaf zu stöhnen. Tomas weckte sie, aber als sie sein Gesicht sah, sagte sie haßerfüllt: »Geh weg! Geh weg!« Dann erzählte sie ihm, was sie geträumt hatte: Sie beide waren zusammen mit Sabina in irgendeinem riesigen Zimmer. In der Mitte stand ein Bett wie ein Podest. Tomas befahl ihr, sich in eine Ecke zu stellen und liebte Sabina dann vor ihren Augen. Sie sah zu, und dieser Anblick verursachte ihr unerträgliche Qualen. Sie wollte den seelischen Schmerz in körperlichem Schmerz ersticken und stieß sich Nadeln unter die Fingernägel. »Es hat wahnsinnig weh getan«, sagte sie und ballte die Hände zu Fäusten, als wären sie tatsächlich verwundet.
    Er nahm sie in die Arme, und langsam (sie zitterte noch lange) schlief sie in seiner Umarmung ein.
    Als er am nächsten Tag an diesen Traum dachte, fiel ihm etwas ein. Er öffnete seinen Schreibtisch und nahm ein Bündel Briefe heraus, die Sabina ihm geschrieben hatte. Er hatte die Stelle rasch gefunden: »Ich möchte Dich in meinem Atelier lieben wie auf einer Bühne. Ringsherum stehen Leute, die keinen Schritt näher kommen dürfen. Aber sie können die Augen nicht von uns losreißen ...«
    Das Schlimmste an der Geschichte: der Brief war datiert.
    Er stammte aus der jüngsten Zeit, als Teresa längst schon bei Tomas wohnte.
    »Du hast in meinen Briefen geschnüffelt!« fuhr er sie an.
    Sie leugnete es nicht und sagte: »Dann wirf mich raus!«
    Aber er warf sie nicht hinaus. Er sah sie vor sich, wie sie in Sabinas Atelier an die Wand gepreßt dastand und sich Nadeln unter die Fingernägel stieß. Er nahm ihre Finger in seine Hände, streichelte sie, hob sie an seine Lippen und küßte sie, als wären noch Blutspuren daran.
    Von diesem Zeitpunkt an schien sich alles gegen ihn verschworen zu haben. Es verging kaum ein Tag, an dem sie nicht irgend etwas Neues über sein heimliches Liebesleben erfuhr.
    Zuerst stritt er alles ab. Wenn aber die Tatsachen allzu offensichtlich waren, versuchte er zu beweisen, daß sein polygames Leben und seine Liebe zu Teresa in keinerlei Widerspruch standen. Konsequent war er nicht: einmal leugnete er seine Untreue, dann wieder rechtfertigte er sie.
    Eines Tages telefonierte er mit einer Frau, um sich mit ihr zu verabreden. Als das Gespräch zu Ende war, hörte er ein sonderbares Geräusch aus den Nebenzimmer, etwas  wie
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