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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde
Autoren: Irena Brezna
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sagen Sie, was Sie brauchen.«
    Sie bietet sich nun dem Haftrichter an, doch er will nichts von ihr, er gibt ihr weitere acht Wochen Untersuchungshaft.
    Die Polizistin legt ihr Handschellen um, und die Anwältin fragt:
    »Wie geht es im Gefängnis?«
    Die Gefangene zieht eine Grimasse.
    »Mit der Mörderin will ich nichts zu tun haben. Und was kann man schon machen: Fernseh schauen, Fernseh schauen.«
    »Lieben Sie Ihren Freund noch?«
    Die Gefangene winkt ab, eine Spur zu schnell.
    »Wegen ihm habe ich doch alles verloren, die Wohnung, meine Putzstelle, wenn sie auch illegal und schlecht bezahlt war, und jetzt muss ich seine Rache fürchten.«
    Sie rollt sich schützend ein.
    Die Anwältin sagt nachdenklich:
    »Ich habe noch nie eine Frau vertreten, die selbstständig gehandelt hätte. Hinter jeder weiblichen Straftat steht der Mann als Drahtzieher.«
    »Schwach zu sein ist auch ein Vergehen«, sage ich, »sich nicht aufzulehnen, die Kraft nicht aufzubringen, um sich auf die andere Seite zu schlagen, aus Bequemlichkeit, aus Angst unwissend und gehorsam zu bleiben, die falschen Leute nicht verlassen zu können.«
    Der Mann stammt aus einer Gegend, die ich gut kenne. Wir tauschen ein paar Orts- und Familiennamen aus, als feierten wir ein Verwandtschaftstreffen. Schon hat mich der vertraute Strom mitgerissen. Ich gestikuliere wild, achte nicht darauf, dass die Sprache der Hände in diesem Land Unangepasstheit und Unkontrolliertheit verrät. Der Anwalt versucht, mich aus dem Strudel auf sein Floß heraufzuziehen – sein Körper wird hölzern, er spricht in abgehackten Sätzen, reiht juristische Begriffe aneinander wie festgenagelte Latten.
    Je mehr Mauern und Regeln da sind, umso freier will ich sein. Das Gefängnis ist ein verschmutztes Kloster, das verrückte Hoffnungen aufkommen lässt. Der bisherige Weg des Schuldigen ist offengelegt. Wird es eine Umkehr geben? Sollen doch diese Stunde, während der wir seiner Tat wegen da sind, und dieser Raum, in den kein Tageslicht eindringt, lichtdurchflutet sein. Deshalb bin ich da, und das Dolmetschen ist nur ein Vorwand.
    »Ich habe eine nicht so schlechte Nachricht für Sie«, sagt der Anwalt auf die hiesige untertreibende Art. »Sie werden heute freigelassen.«
    Langsam erwacht der Gefangene aus seiner Duckhaltung, bewegt die zur Faust gerollten Finger und steckt die Visitenkarte des Anwalts geschickt in die eine Socke, als zwei Wärter den Raum betreten. Die Behendigkeit zeigt, dass er im Gefängnis heimisch ist. Er lobt das Knastessen, am Sonntag gebe es Schnitzel und ein Eis als Nachtisch. Auch behandle man ihn mit Respekt, ihm fehle es an nichts, und doch möchte er um sich schlagen, aber wogegen? An diesem Verwahrungsort sei alles wie aus Watte, jede Entscheidung werde ihm abgenommen. Beim Abschied steht er aufrecht und schaut uns gerührt nach, mit der Hand auf dem Herzen, als würden ihn Vater und Mutter verlassen.
    »Ist der Mann unschuldig?«, frage ich den Anwalt.
    »Ein Dutzend Delikte quer durch den Kontinent werden ihm zur Last gelegt, aber beweisen kann man ihm nichts.«
    Ein Wärter in hellblauer Uniform geht in breitem Matrosengang durch den langen Korridor und führt den Anwalt und mich zu der Empfangsdame der Haftanstalt. Sie wünscht uns einen guten Tag, als entließe sie Gäste nach einer sonntäglichen Bootsfahrt zurück ans Festland.
    Die Einheimischen pflegten zu debattieren, als wären sie bei der Auskunft angestellt:
    »Wann bist du gekommen, wo wohnst du, wann fährst du und wohin genau?«
    Manche kannten ganze Zug- und Busfahrpläne auswendig. Bald galt ich als unzuverlässig, als unfähig, mir die Öffnungszeiten der Fremdenpolizei zu merken. Wer wusste bei uns schon, wann wir gekommen waren und wohin wir gehen würden. Mit Sprüchen haben wir die Zeit vertrödelt. Versuchte ich mich hier als charmanter Witzbold, zog man die Augenbrauen hoch. Nur nicht doppelbödig werden, wie unseriös. Der Lehrer erklärte den richtigen Gesprächsstil: »Ankündigen, was ihr sagen wollt, wie lange, und die Zielsetzung der Plauderei nicht vergessen. So werden sich eure Gesprächspartner sicher fühlen.« Doch sicher war nur die Langweile, die mich befiel. Der Lehrer machte es vor, er erklärte langatmig, was er in der Unterrichtsstunde durchnehmen würde, und verwirklichte Punkt für Punkt seinen Vorsatz. Ich sehnte mich nach Überraschungen, mochte so sehr dieses Wort, in dem es überrasch zuging, und störte den Unterricht mit Einfällen.
    Der Lehrer schloss
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