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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde
Autoren: Irena Brezna
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Fünfundzwanzigjährige sind das lediglich unangenehme Begleiterscheinungen eines großen Loses, das sie gezogen hat. Lieber entblößt sie sich in einem wohlhabenden Land, als zu Hause für einen Hungerlohn an der Kasse eines Supermarktes zu sitzen, vom Chef belästigt zu werden und frühzeitig zu altern. Sie kramt den Beleg für das Glück heraus, den abgegriffenen Vertrag, wo »Cabarettänzerin« steht. Sie schaut mich an, wartet auf Zuspruch. Dann liefert sie hastig Argumente. Ihr Vater sei gestorben, und die Mutter habe man aus der Waffenfabrik entlassen. Sie reißt die Augen auf:
    »Haben Sie gehört, es ist Krise, und ich habe eine vierjährige Tochter.«
    »Weiß Ihre Mutter, was Sie hier tun?«
    »Mama weiß, dass ich tanze.«
    Das Wort »tanzen« spricht sie oft und mit Nachdruck aus, sie übt ihre neue Identität ein. Tanzen ist Kunst, ein anerkannter Beruf, sie muss ihm etwas opfern:
    »Ich darf kein Kilo zunehmen.«
    Sie ist Körper per se und kein sprachbegabtes Wesen. Wozu eine Sprache an der Bar mit Angetrunkenen? Ihr Wortschatz ist auf den Gruß »Tschau« zusammengeschrumpft, mit dem sie alle, auch die Ärztin, begrüßt. Intimsein als Beruf hebt die Unterscheidung zwischen Privat und Öffentlich auf. Sie ist noch nicht am Ende ihrer Geschichte. Jetzt kommt das Happy End.
    »Ich habe einen Mann kennengelernt, einen von hier. Er will mich heiraten.«
    Sie sagt es im Rausch, eine Goldgräberin, die auf eine Goldader gestoßen ist. Sie räkelt sich und haucht:
    »Ich bin unschlüssig. Soll ich alles hinter mir lassen?«
    Sie erwartet, dass eine, die der Heimat ebenfalls den Rücken gekehrt hat, solche rhetorischen Zweifel abtut: Ach was, nichts wie weg. Ich schweige.
    Die Gynäkologin blättert mit abweisendem Gesicht in der Patientenakte:
    »Bei wechselnden Geschlechtspartnern sollten Sie Kondome benutzen. Der HIV- Test, der Hepatitis- C – Test sind negativ, auch der Verdacht auf eine Geschlechtskrankheit hat sich nicht bestätigt. Nur in der Gebärmutter haben wir veränderte Zellen entdeckt.«
    Etwas hat sich in ihrem weiblichen Zentrum verändert.
    »Mein Bauch ist prall und macht Geräusche. Bin ich wieder schwanger?«
    Der Schwangerschaftstest fällt negativ aus, was die Patientin beschwingt macht. Das Gesicht der Ärztin kippt von Ekel zu Trauer. Kürzlich erlitt die Patientin über den Wolken eine Fehlgeburt, als sie urlaubshalber nach Hause flog. Eine glückliche Fügung, denn eine Abtreibung würde sie nicht machen. Sie habe eine Moral, streicht sie heraus. Das Gerede über den verpackten Penis und die Spermien tötende Scheidencreme wird uferlos, ich dolmetsche lustlos. Die junge Frau entscheidet sich für das Einsetzen der Spirale in die Gebärmutter und will den Impresario fragen, ob er es zahlen würde.
    Ich mache beim Dolmetschen einen Versprecher:
    »Repressario.«
    Zu jung war ich für dieses erwachsene, vernünftige Land. Meine Versuche, es zur wilden Liebe herauszufordern, schlugen fehl. Wie eine junge Mutter, die sich vom alternden Gatten abwendet und ihre ganze Leidenschaft dem Sohn angedeihen lässt, hoffte ich auf den Völker überschreitenden Kückengeruch der Kleinkinder. Ich würde ihn einsaugen, mich an den weichen Körper anschmiegen, mit der Menschheit verschmelzen. Die Kinder gehörten noch der Wildnis an, mit ihnen würde ich nackt und verspielt sein dürfen, ohne ein hartes Kulturkorsett. Doch Säuglinge waren ein Teil des Familienbesitzes, man legte sie nicht in fremde Arme. Sie bekamen lange Namen, als wären sie Würdenträger, die man siezt. Die Eltern sprachen mit ihnen höflich, wahrten die Form, küssten sie offiziell, vor dem Schlafengehen. Wenn sie ihre eigenen Säuglinge wie fremde Diplomaten behandeln, wie würden sie dann mit mir sein? Mit den kleinen Wesen schäkerten sie nicht, das wäre eine Überforderung. Die Verbote wiederholten sie ernst und langsam:
    »Ich habe dir gesagt, das darfst du nicht.«
    Ich wartete darauf, dass die Eltern das Verbot sogleich in der Luft zerreißen und in Lachen ausbrechen würden: »Doch, doch, natürlich darfst du, nimm«, und sie umarmen die Wonnebrocken, wiegen sie, und die Wonne wächst und wächst und reißt mich mit. Aber sie hielten ihr Wort und rissen das Verbot nie in Stücke. Mit Nachdruck appellierten sie an den Verstand, bereiteten den Nachwuchs auf die vordergründige Welt vor, in der sie sich auskannten. Dass es dahinter noch tausend Welten gab und darunter tausend Böden, tausend Wonnen, haben sie
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