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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde
Autoren: Irena Brezna
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Stand, versucht sich in der Opferrolle. Nach der Niederlage hofft er, bei mir zu gewinnen. Ich schüttle ihn ab. Er wird alleine in die Freiheit und die Gefahr entlassen, in sein eigenes Leben.
    Wie weit ich mich bei dem Aufprall erlebe, die eine Hand berührt den fremden Kämpfer, die andere den heimischen Schwulen, zwei Spielarten des Außenseitertums, die ich mit einer dritten Art verbinde. Ich spiele Pingpong mit Sprachen, Kulturen, Fremdheiten, fange die Bälle und schmettere sie zurück, reich an Erfahrung, furchtlos, leicht und bejahe mein Emigrantenschicksal in seiner ganzen gnadenvollen Tragweite. Die erworbene Beweglichkeit stelle ich den Neuankömmlingen zur Verfügung, die gestandene Veteranin, in jeder verletzten Körperzelle trage ich den Wissensvorsprung .
    Eines Tages begleitete mich Mara nicht mehr. Sie starb in einem rasenden roten Wagen, der sich überschlagen hatte. Glassplitter glitzerten in ihren blutverschmierten Haaren. Der Lenker, ein Lokaldichter in schwarzer Lederjacke, rettete sich und schrieb ein Gedicht über die schöne, tote Mara. Ich erbte Maras Kleider und kam in ihrem Lieblingskleid zum Begräbnis.
    Eine Mutter hat mit ihrer Tochter heute das Flüchtlingslager erreicht. Sie werden gleich verhört. Als sich der Befrager nach ihrem Glauben erkundigt und keine Antwort erhält, schaut er mich vorwurfsvoll an, als würde ich falsch dolmetschen.
    »Einen Glauben hat doch jeder«, meint er und wendet sich an die Tochter:
    »Woran glaubst du, Mädchen?«
    »An eine bessere Welt.«
    »Dann bist du richtig bei uns. Herzlich willkommen.«
    Ende

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Das Buch
    Tanz auf der Rasierklinge
    »Meine Mutter ist stark wie eine Kakerlake«, sagte der Junge. »Eine Kakerlake zu Hause und eine in der Fremde ist nicht dasselbe«, meinte die Psychologin.
    »Wir ließen unser Land im vertrauten Dunkel zurück und näherten uns der leuchtenden Fremde.« Im Jahr 1968 beginnt Irena Brežnás Roman, der auf engstem Raum Verletzung und Auf begehren, Spott und Hohn, schwarzen Humor, Poesie, Menschlichkeit und Versöhnung vereint. Die Erzählerin verschlägt es in die Schweiz, einen sicheren
Hafen von bizarrer Saturiertheit, ein von Zäunen verstelltes Paradies voller Ordnungshüter und Kehrmaschinen – zu viel Widerspruch für ein Mädchen wie sie. Schon bei der Einreise wird ihr Name vom Grenzer verstümmelt. Ab dann muss sie gezwungenermaßen unter falscher Flagge segeln und vermisst im kalten, gleißenden Licht der Fremde die unfreie, schmuddelige Geborgenheit der Heimat. Als Heranwachsende rebelliert sie gegen das Gastland, das
sie unter seine Regeln zwingt und sie nicht sie selbst sein lässt. Nach vielen Zusammenstößen findet sie einen Ausweg …
Wie Mini-Romane, Kondensate paradoxen Lebens, sind Szenen durch das gesamte Buch gestreut, in denen die Erzählerin als Dolmetscherin zwischen Emigranten und Behörden fungiert. Sie trifft auf eine Phalanx von Gestrandeten, die hoffen, etwas aus ihrem Leben machen zu können: Kleine Diebe, Depressive, Schlawiner, Kriegsflüchtlinge, Ausgebeutete, Überangepasste und Naive. So ungeschützt und schonungslos gegen sich und andere
hat noch keiner über die Emigration geschrieben – ein kleiner Roman mit großer Sprengkraft, ein Lebensbuch.

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Der Autor
    Irena Brežná wurde 1950 in der Tschechoslowakei geboren und emigrierte 1968 in die Schweiz. Sie arbeitet als Gerichts-
Dolmetscherin, als Kriegsberichterstatterin (Tschetschenien) und humanitäre Helferin beim Roten Kreuz. Ihre autobiographisch
geprägten Romane und ihre Kriegs-Reportagen wurden mit zahlreichen Literatur und Publizistikpreisen ausgezeichnet (u. a.
dem Theodor-Wolff-Preis und dem EMMAJournalistinnenpreis).

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Die Autorin bedankt sich für erhaltene Werkbeiträge bei:
Fachausschuss Literatur der Kantone BS/BL
UBS Kulturstiftung
Kulturfonds Bundesamt für Kultur
Fondation Jan Michalski
    1. Auflage 2012
    © 2012 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
eBook © 2012 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Umschlaggestaltung: Manja Hellpap und Lisa Neuhalfen, Berlin
Umschlagmotiv: © Getty Images / Photonica / Kamil Vojnar
Autorenfoto: © Mano Strauch
    Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck
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