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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde
Autoren: Irena Brezna
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ein Vaterland. Mein Mutterland hatte ich verlassen müssen, aber es lebte in mir weiter, ich habe es nie verloren. Ich war ein Kind meiner Eltern, ein Mischling, der sich stets weiter vermischte.
    Schon lange ging ich nicht mehr in die Kneipe »Zwei Eidgenossen«, wo sich meine Landsleute Neuigkeiten erzählten. Ich mied die einengende Art, nur emotional und nicht denkend zu vibrieren, und ach, die Intrigen. In dieser Mikrowelt pflegte man die Landsfrau von oben bis unten anzuschauen. Unser bestes Erbe – Witz, Spott, Hohn, Ironie – wurde bisweilen zum Zwang. Auch der schwarze Humor hatte seine eisernen Gesetze, denen die Landsfrau zu folgen hatte. Am Lachen, an der Kleidung, am Lebensstil wurde die Zugehörigkeit zur Landsmannschaft abgelesen. Nie waren sie vorbehaltlos zufrieden. Sollte ich mich schuldig fühlen angesichts ihres ewigen Vorwurfs, als sei jeder meiner Schritte eine Abkehr von der Abstammung? Mein Weg führte weg vom Anfang. Wohler war mir mit Fremden, deren Sitten ich nicht kannte und an die ich nicht gebunden war. Sie schätzten jede Geste der Sympathie, denn sie hatten keinen Anspruch darauf. Mit den Fremden war ich wohltuend fremd.
    Einen gewissen Bonus gab ich jenen, mit denen mich die Muttersprache verband, aber schnell war er erschöpft. Kam es hart auf hart, war ich nicht mehr korrumpierbar. Eine andere Gemeinsamkeit hatte Vorrang. Die Landsleute, die in der Fremde die lebenswichtige Lektion gelernt hatten, gestanden mir das Amulett der Fremdheit zu. Begegneten wir uns, waren wir uns fremd und vertraut zugleich. Eine andere Nähe konnte es nicht geben.
    Ich fing an, über die Grenzen zu gehen, um noch mehr Fremdheiten einzufangen, wechselte Sprachen, weitete den Blick. Nun lebte ich in vielen Fremdheiten. Die Fremdheit in meiner neuen Heimat war per se eine Unzulänglichkeit, denn es sollte sie nicht geben. Mit der häufigen Frage, woher ich käme, warf man mich hinaus. In der offensichtlichen Fremde all der Länder, die ich durchreiste, durfte ich fremd bleiben. Eine befreiende Fremde. Ich beheimatete mich für einen halben Tag darin, aus Experimentierlust und nicht, weil es jemand erwartete.
    Überall traf ich Einwanderer, die über ihr Gastland klagten und einen idealen Ort suchten. Irgendwo muss er sein. Beneideten sie mich darum, so angenehm an der Seite meines gepflegten Landes leben zu dürfen, verriet ich peinliche Details über unsere Ehe. Lästerte jemand darüber, das ganze Land sei doch ein Safe unter dem Hauptplatz, voll mit geraubtem Geld, sei eingeschlossen in ein teures wasserdichtes Uhrwerk und sei gar nicht so süß wie seine Schokolade, verteidigte ich seine liebenswerten Seiten: Rechtsstaat, Klarheit, Ausdauer, Wort und Tat als symbiotisches Paar. Ich brauchte eine Jahrzehnte dauernde Weltumsegelung, um sie zu erkennen. Und kam ich von den Reisen zurück, empfand ich es hier jedes Mal erträglicher. Die Ruhe versetzte mich nicht mehr in Unruhe. Ich atmete tief, als glitte ich in etwas Vertrautes, Stilles zurück. Das Land war nicht nur selbstgefällig, es war selbstgenügsam, saß mir nicht auf der Pelle. Die Polsterung erlaubte, dass man sich für die vielen Ungepolsterten in der Welt interessierte. Tatkräftig, wie denn auch sonst.
    Das karierte Hemd zum kurzen Haarschnitt und ein gemessener Gang, das muss ein einheimischer Dörfler sein. Ich halte mit dem Fahrrad an:
    »Wo ist hier das Gemeindehaus?«
    Er hebt die Arme hoch, als ergebe er sich. Also schlecht gezielt, auch in diesem Dorf gibt es Zugewanderte. Fünf Minuten später betritt er das Gemeindehaus, wo die Beamtin von beschleunigter Integration redet. Er schaut mich erwartungsvoll an, braucht meine Dienste. Seine Ankunft im Dorf schließt den Kreis, den sein Vorfahre vor hundertfünfzig Jahren zu zeichnen anfing, als er von hier dreitausend Kilometer weit weg zog. Der Nachkomme trägt den Stammbaum bei sich und dazu ein großes Foto mit hundertsechzig Verwandten.
    »Nach Hause bin ich gekommen«, sagt der Rücksiedler feierlich.
    Doch wenn er von der Hühnerfarm in der Steppe erzählt, lebt er auf. Zweitausendfünfhundert Eier täglich lieferten seine gefiederten Bediensteten ab, er sei in leitender Stellung gewesen, betont er, er wisse, wie man arbeitet. Der jetzige Job in der Werkstatt sei nichts für ihn. Dort seien nur Ausländer. Sie sprächen ein Kauderwelsch, und ihr Arbeitswille lasse zu wünschen übrig.
    Seine Abgrenzung von den Fremden erinnert mich daran, dass das Fremdsein eine Identität ist. Er
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