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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde
Autoren: Irena Brezna
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solchen Vätern, und fast wären wir Komplizen geworden, hätte der Sohn nicht ausgerechnet meine Diktatur zum Reich des Guten verklärt. Politisch stigmatisiert war ich, eine Verräterin, die aus seinem Utopia abgehauen war. Um mich seiner Liebe würdig zu erweisen, hätte ich Amnesie erleiden müssen. Ich war gerade dabei, die demokratischen Segnungen zu entdecken, und er bastelte an einem geschlossenen System. Nicht die Wirklichkeit wollte er, sondern seinen Aufruhr gegen den Vater. Schwarz-weiße Gegenwelten. Meine farbige Erfahrung brauchten sie nicht.
    Ich erfuhr von einem jungen Mann, der sich Zorn nannte. Er hatte eine Abrechnung mit seiner Goldküste geschrieben, die Kälte ihrer Bewohner entlarvt. Die Unliebe an der Küste sei der Henker, der ihn töten würde, schrieb er. Er rebellierte gegen das Todesurteil, das durch Krebs vollstreckt werden sollte. Noch hoffte er, dass ihn das Benennen der erlittenen Grausamkeit heilen würde. Er hieß Angst, aber als Zorn beschrieb er seine Kindheit und die Jugend inmitten der entsetzlichen Armut der Reichen. Verstört las ich das Buch. Da enthüllte ein Einheimischer radikaler als ein Fremder. Ich fand eigene nebulöse Gedanken klar und schmerzhaft zu Ende und über das denkbare Ende hinaus formuliert. Zorn verknüpfte die Goldküste mit dem Krebs. Zorn weckte in mir den Mut, über das kleinlaute Tuscheln hinaus zu denken. Der unerbittliche Kritiker wurde nicht ins Gefängnis geworfen, sondern anders erledigt. Es war mir egal, ob es stimmte, dass seine Küste ihn getötet hatte. Zorn hat sich die Reichen so gedacht, als seien sie seine Henker gewesen. Und er hat es ausgesprochen. Der finstere Zorn machte mich hellsichtig. Zorn war mein Glücksbringer.
    Ich seilte mich tiefer ins Wesen des Landes ab und fand heraus, dass die hiesige Art, Abstand in jeder Lage zu wahren, mich nicht nur krank machte – die Krankheit wurde nicht ans Herz und ins Bett gedrückt wie bei uns, nicht beklagt wie ein diktatorisches Regime, die weißen Pillen nicht angehimmelt oder verflucht. Mit der allerliebsten Krankheit verkroch man sich nicht in eine Symbiose wie in eine kuschelige Heimat. Sie war weder Schicksal noch Naturgewalt noch Gottes Strafe. Für solche starken Worte erheischte man kein Mitgefühl. Es gehörte sich nicht, mit der Krankheit über andere zu herrschen. Sie war eine unscheinbare Bürgerin, ihre Herrlichkeit war beschnitten wie jede Absolutheit auch. Die Krankheit wurde unter dem Mikroskop des Denkens zerlegt. Sie schrumpfte zu einer gleichwertigen Partnerin, mit ihr wurde ich auf den Weg geschickt, dazu ein paar Ermunterungen zu kleinen Lösungen. Mein Kopfweh spazierte neben mir her, und ich wurde neugierig darauf, seine Sprache zu enträtseln.
    Ausgerechnet die Mauer, die man mir so oft entgegengehalten hatte, erwies sich als meine Rettung. Die Kultur der Abgrenzung lehnte mein Angebot zur Verschmelzung stets ab. Verletzt flüchtete ich in die Innenwelt, dort pflegte und bewahrte ich meine Persönlichkeit. Draußen geschahen keine aufregenden Umstürze und Katastrophen, die meinen Einsatz gebraucht hätten. Ich kultivierte die Aufregung im Innern. Auf einmal verstand ich die Aufforderung eines hiesigen Schriftstellers: »Sei human, bewahre Abstand.« Auch ich durfte vom Recht auf Abstand Gebrauch machen, musste mich nicht assimilieren. Von nun an lebte ich nicht mehr in einer Zwangsehe mit dem Gastland. Der Abstand, gut geeignet zum Denken, eine Voraussetzung dafür. Im kühlen Schatten der Mauer stand eine harte Schulbank, dort büffelte ich und fand Dialogpartner. Ich war nicht mehr abhängig davon, ob mich jemand annahm, behielt zwar meine ausgießende Gefühlsart, setzte sie aber nur dort ein, wo sie auch geschätzt wurde. Mal ließ ich das Wasser raus, mal hielt ich es zurück. Ich thronte inzwischen in der Kabine oben am Staudamm.
    »Wozu braucht mein Sohn die Schule? Ein Mann muss schießen können und nicht das ABC buchstabieren«, höhnt der Vater.
    Die junge Psychologin gibt sich abgeklärt, als hätte sie für alles Menschliche Verständnis. Dann wendet sie sich forsch an den Jugendlichen:
    »Du hast andere Schüler schlimm zugerichtet. Die Schulleitung hat einen Schulausschluss beantragt.«
    Der Fünfzehnjährige wirkt matt. Das ist seine Rolle in der Gegenwart des Vaters. Lebendigkeit wäre Aufstand gegen die väterliche Autorität. Statt Kraft wählt der Sohn Einsicht, eine in der Fremde erworbene Eigenschaft.
    »Ich habe ein Problem. Wenn ich auf
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