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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde
Autoren: Irena Brezna
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Beleidigungen nicht reagiere, bin ich besessen vom Gefühl, die Sache nicht zu Ende gebracht zu haben. Erst wenn ich zuschlage, verspüre ich Erleichterung.«
    Die Psychologin spricht jetzt sanft:
    »Ein Trainer der Gewaltlosigkeit wird dir beibringen, wie die Regeln bei uns funktionieren.«
    »Ich kenne die Regeln, ich will lernen, die Sache zu Ende zu bringen, ohne die Regeln zu verletzen.«
    Der Vater wird misstrauisch. Der Sohn spricht die fremde Sprache leicht und schnell, redet zu klug, zu weich, er kommt dem Gastland entgegen, entfernt sich vom Land der Urväter. Der Sohn wird zum Schlachtfeld, auf dem der Kampf zwischen der traditionellen Sippe und der Moderne ausgetragen wird.
    Der Vater fährt sein Kriegsgeschütz auf:
    »Wir sind hier als Asylbewerber Menschen dritter Klasse. Seit Jahren warten wir auf einen Entscheid vom Migrationsamt. Ist das Achtung? Sie mit Ihrer Asylpolitik sind schuld daran, dass mein Sohn aggressiv ist.«
    »Aber Ihr Sohn hat gute Aussichten, nach der Schule einen Beruf zu erlernen.«
    »Der Beruf ist nicht das Wichtigste. Ein Mann muss sich wehren können, wenn nötig bis zum Tod.«
    Es ist ein Elend mit diesem Vater. Er hat weder die Sprache gelernt, noch geht er einer Arbeit nach. Er plustert sich auf, beansprucht polternd den Raum, den er friedlich nicht zu besetzen vermag.
    Die Psychologin verharrt in ihrer formellen Höflichkeit:
    »Sind Sie damit einverstanden, dass wir den Trainer für Ihren Sohn beantragen?«
    Er versteht die Frage als Schwäche, und seine Hasstirade wird noch dreister.
    Ich will nichts wie weg von hier und muss handeln:
    »Natürlich ist er einverstanden. Geben Sie ihm das Formular zur Unterschrift.«
    Der Vater unterschreibt und droht:
    »Niemand wird meinen Sohn in die Finger kriegen!«
    Ein Jahr später ist seine Wut einer Depression gewichen, die angenehmer zu dolmetschen ist. Die Trauer, die ältere Schwester der Wut. Doch die Feindprojektion ist noch da:
    »Ihr habt mich krank gemacht, also helft mir wieder auf die Beine. Zu Hause war ich ein freier Mann, hier sagt mir jeder, was ich tun soll.«
    »Lernen Sie die Sprache und arbeiten Sie, dann werden Sie wieder frei sein«, gebe ich ihm den simplen Rat aus einer Integrationsbroschüre. Sein plumper Widerstand ist mir unangenehm und allzu vertraut.
    »Sie haben leicht reden, Sie sind willensstark.«
    Gerne pachten die sprachlosen Fremden die Schwäche für sich. Eifersüchtig wachen sie über ihren einzigen Besitz. Je mehr Stärke sie in mir sehen, umso mehr hoffen sie, sich etwas davon abbrechen zu können. Sie klagen und klagen. Dann fragen sie nach meiner Telefonnummer. Zwei Lieblingsflüchtlingen gab ich sie auch, obwohl die Verhaltensregeln für Dolmetscher es verbieten. Zu unserem Schutz sei das.
    »Wir müssen uns anpassen«, sage ich dem Mann und erschrecke über mich selbst. Wie oft habe ich von den Einheimischen diesen Satz gehört und wie habe ich dagegen gewütet.
    »Ich bin kriegsgeschädigt, und gerade Sie sollten es verstehen. Aber Sie sind schon auf ihrer Seite.«
    »Sie suchen vergeblich einen Kurort. Hier ist reales Leben.«
    An einer Veranstaltung nahm ich das Lügengebäude eines Politikers auseinander. Dann saß ich auf der Anklagebank, verdächtigt des Motzens. Es war kein Motzen mehr, daraus war längst gut begründete Kritik an Missständen geworden. Ich hatte gelernt, aus einem vagen Misstrauen ein solides Haus aus Argumenten zu bauen, Stein für Stein. Die Richterin ging die Anklagepunkte durch als stiege sie prüfend Stockwerk um Stockwerk hinauf. Dann sprach sie mich vom Vorwurf der üblen Nachrede frei. Leidenschaftlich liebte ich ihre Nüchternheit, die Faktentreue, würdigte diesen Stil, der mir früher öde vorgekommen war, und es schien mir, hinter ihrer Strenge breite sich unendliche Wärme aus. Dabei war es eine klare und wohltuende Strenge, die den Nebel der Lüge zu zerstreuen verstand. Im Namen der Gesellschaft gab mir die Richterin das Recht, die Lüge des Klägers öffentlich entlarvt zu haben sowie jede Lüge zu denunzieren. Notwendig für die Demokratie sei das. Ich war mit meinem Motzen eine Stütze der Demokratie geworden! Und ich liebte in der Richterin das Land, in dem ich gelernt hatte, dem Motzen eine feste Form zu geben. Hier gab man keinen Kredit, dafür Belohnung für eine Leistung. Ich habe mich mit meiner Leistung hier eingebürgert, in diesem Land für Erwachsene. So wurde ich erwachsen. Im Gerichtssaal, im Ritual um Recht und Unrecht, bekam ich
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