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Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)

Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)

Titel: Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Steve Mosby
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Teil I
    W ir wollen doch nur wissen, was passiert ist«, sagt der Polizist.
    Der kleine Junge ihm gegenüber antwortet nicht, starrt nur unentwegt auf seine Hände, mit denen er nervös herumspielt, die Daumen ständig gegeneinanderpresst.
    Er ist acht Jahre alt, aber das riesige rote Sofa, auf dem er sitzt, lässt ihn um einiges jünger wirken.
    Das ist bei allen Kindern so, wenn sie hier sind, im Salon: einem geräumigen Raum, der so gestaltet ist, dass er eher einem gemütlichen Wohnzimmer als einem Vernehmungsraum gleicht. Vor einer Wand stehen mit Plüschtieren vollgestopfte Kisten, auf dem Tisch ein Stapel zerlesener Comics. Den Jungen interessiert nichts davon.
    Er trägt einen verwaschenen blauen Pyjama über den dünnen Gliedmaßen. Sein Haar ist schon lange nicht mehr geschnitten worden: Ein peinlicher Pony fällt ihm fransig ins Gesicht, und hinten im Nacken, wo es auf die Schultern trifft, stellt sich das Haar zu strähnigen Locken auf. Was der Constable von seinem Gesicht sehen kann, wirkt auf ihn leer, als hätten ihm die Ereignisse der Nacht jegliche Gefühlsregungen ausgetrieben. Wie verletzte Seelen schweben das Schweigen des Jungen und die Reglosigkeit im Raum.
    Er hat viel durchgemacht, dieser Junge.
    »Kannst du uns erzählen, was passiert ist?«
    Wieder Schweigen.
    Er sieht die Polizistin an, die für Fälle mit Kindern zuständig ist, die einzige Person, die sich außer ihnen beiden noch im Raum befindet. Eine förmlich wirkende, tadellos gekleidete Frau in einem makellosen grauen Anzug. Sie trägt eine Brille und hat das Haar zu einem Knoten zurückgebunden. Sie kann ihm nicht helfen.
    Plötzlich, ohne aufzusehen, spricht der Junge.
    »Wo ist John?«
    Der Polizist beugt sich vor.
    »Dein Bruder? Er ist auch hier.«
    »Ich will ihn sehen.«
    »Das geht im Augenblick nicht.«
    Der Junge sieht nicht auf, aber dem Polizisten entgeht nicht, dass er das Gesicht verzieht. Der väterliche Teil in ihm möchte helfen, sieht aber keine Möglichkeit, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Der andere Junge – zwei Jahre älter als er – befindet sich im Raum darunter. Mit ihm haben sie schon gesprochen, und sie werden es in den kommenden Tagen noch viele Male tun müssen.
    Der Polizist verändert seine Sitzhaltung ganz leicht.
    »Wir wollen, dass du uns deine Version von dem erzählst, was passiert ist«, sagt er. Aber es klingt zu förmlich, zu unpersönlich für dieses Kind, das vor ihm sitzt, und ihm fällt ein, was die Polizistin gesagt hat, bevor sie mit der Anhörung anfingen. »Wenn es dir lieber ist, kannst du es wie eine frei erfundene Geschichte erzählen. Als ob es gar nicht wirklich passiert wäre.«
    Der Junge lässt die Schultern sinken. Er ist ausgemergelt, bemerkt der Polizist. Vernachlässigt. Aber er hat auch den Zustand des Hauses gesehen, aus dem der Junge kam, und er weiß, dass nicht erst heute Nacht seinen Anfang genommen hat, was der Kleine erlebt hat. Es muss schon vor langer Zeit begonnen haben.
    Nach einer ganzen Weile, nachdem er all seine Kraft zusammengenommen hat, blickt der Junge schließlich auf und sieht den Polizisten direkt an.
    Und … da ist etwas, oder?
    Der Ausdruck in seinem Gesicht ist ganz und gar nicht leer. Und einen Moment lang hat der Polizist das Gefühl, jemanden anzusehen, der etwas älter ist.
    Und als der Junge anfängt zu sprechen – »Es war schon spät, nach Mitternacht, glaube ich« –, kann er sich eines sentimentalen Gefühls nicht erwehren. Als das Kind anfängt zu erzählen, was geschehen ist, greift er sich an das Kreuz, das er um den Hals hängen hat, und macht sich bewusst, dass dieser kleine Junge heute Nacht so viel Grauenvolles erlebt hat.
    Und dennoch bleibt der Zweifel.
    Ja, denkt er. Dieser kleine Junge hat so viel durchgemacht.
    Vielleicht.

Erster Tag
    1
    E s begann im Quadrateviertel.
    So nennen wir das kleinteilige Straßengeflecht am Nordufer des Kell, des Flusses, der sich durch das Herz unserer Stadt schlängelt, das einem Slum sehr nahe kommt. Die Straßen treffen exakt rechtwinklig aufeinander und sind von unterschiedslosen Wohnblöcken gesäumt, von denen die meisten im Erdgeschoss mit Graffiti osteuropäischer Prägung besprüht sind. Weiter oben auf den Balkons flattert Wäsche kunterbunt wie Flaggen fremder Länder im Wind. Jeder dieser sich sechs Stockwerke nach oben erhebenden Klötze ist von einem Rasenstreifen umgeben, auch wenn diese kümmerlichen Zugeständnisse an Stadtbegrünung die bedrückende Anonymität der Häuser
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