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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde
Autoren: Irena Brezna
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Inhalt
    Wir ließen unser Land im vertrauten Dunkel zurück und näherten uns der leuchtenden Fremde. »Wie viel Licht!«, rief Mutter, als wäre das der Beweis, dass wir einer lichten Zukunft entgegenfuhren. Die Straßenlaternen flackerten nicht träge orange wie bei uns, sondern blendeten wie Scheinwerfer. Mutter war voller Emigrationslust und sah nicht die Schwärme von Mücken, Käferchen und Nachtfaltern, die um die Laternenköpfe herumschwirrten, daran klebten, mit Flügeln und Beinchen ums Leben zappelten, bis sie, angezogen vom gnadenlosen Schein, verbrannten und auf die saubere Straße herunterfielen. Und das grelle Licht der Fremde fraß auch die Sterne auf.
    In der Kaserne verhörte uns ein Hauptmann, der mehrere Sprachfehler hatte. Er konnte kein r rollen, weder ž , l’, t’, d ž , ň noch ô aussprechen und betonte unseren Namen falsch, sodass ich mich nicht wiedererkannte. Er schrieb ihn auf ein Formular und nahm ihm alle Flügel und Dächlein weg:
    »Diesen Firlefanz brauchen Sie hier nicht.«
    Er strich auch meine runde, weibliche Endung, gab mir den Familiennamen des Vaters und des Bruders. Diese saßen stumm da und ließen meine Verstümmelung geschehen. Was sollte ich mit dem kahlen, männlichen Namen anfangen? Ich fror.
    Der Hauptmann lehnte sich zufrieden zurück:
    »Sind Sie zu uns geflüchtet, weil es hier die Meinungsäußerungsfreiheit gibt?«
    Wir kannten dieses lange Wort nicht. Mussten wir dem Mann jetzt unsere Meinung sagen, damit er jedem ein Bett und eine Wolldecke gibt? Zu sagen, was man denkt, sät Zwietracht, man wird einsam davon, kommt in Einzelhaft.
    Der Hauptmann wartete vergeblich auf unsere eigene Meinung, dann senkte er die Stimme verdächtig tief:
    »Was für einen Glauben haben Sie?«
    Ich fürchtete, Mutter und Vater würden den Pakt mit dem Teufel schließen und Gott ins Spiel bringen, aber sie blieben sich gottlos treu und schwiegen.
    Da wandte sich der Mann an mich:
    »Woran glaubst du, Mädchen?«
    »An eine bessere Welt.«
    »Dann bist du richtig bei uns. Herzlich willkommen!«
    Er zwinkerte mir zu und besiegelte mein Schicksal mit einem Stempel.
    Eine hagere Frau führte uns durch lange Gänge. Ihr mitleidvoller Blick streifte mich. Ich suchte die Unglückliche, der ihr Blick galt, aber die Welt war leer. Diese Frau, die weder geschminkt noch toupiert war, hatte Mitleid mit mir! Ich tastete meinen Körper ab, er war noch ganz. Da spürte ich, wie meine Seele auf dem Weg zum Flüchtlingsbett hinkte. Sie war lahm. Und schon wurden uns raue, karierte Decken ausgehändigt. In der Turnhalle saßen unsere Landsleute auf Feldbetten. Ich suchte in ihren Augen nach der eigenen Meinung, die sie loswerden wollten, doch ich fand darin bloß geblendete Nachtfalter. Als jemand Okkupationswitze erzählte, tauchte mein verlorenes Lachen auf, das gleich darauf in Tränen unterging. Ich weinte über den letzten Witz aus unserer Diktatur. Nun sollten wir demokratisch und witzlos leben. Die Landsleute redeten über unbekannte Länder, mutmaßten, wo es besser sei. Gefaltet wie sie waren, ließen wir die karierten Decken zurück und brachen erneut auf.
    Das Verrückte an unserer Geschichte war, dass uns unsere besten Freunde überfallen hatten, und auf der Flucht vor den Truppen der Verbündeten waren wir in einem Feindesland gestrandet. Vor Mitternacht erreichten wir eine Stadt. In einem Hotel voller Flüchtlinge bekamen wir ein eigenes Zimmer. Wir durften nur das billigste Essen bestellen, doch das war nicht schlimm, sicher schmeckten auch die teuersten Speisen fad. Die Nationalgerichte der Großmutter galten hier als ungesund. Es gab harten Käse, aber reden sollte man nicht darüber.
    »Rede keinen Käse«, sagte der Lehrer im Sprachkurs.
    Dort freundete ich mich mit meinem Landsmädchen Mara an. Ich beneidete sie um ihren mit Watte ausgestopften Büstenhalter. Sie war eine gute Freundin und stahl auch für mich einen. Nach dem Sprachkurs gingen wir Kleider begutachten, die draußen auf der Straße schaukelten, alleine gelassen wie fremde Mädchen, dem Raub preisgegeben. Ernste, magere Frauen in zerknitterten Leinenhosen, schmucklos wie mein neuer männlicher Name, gingen vorbei, ohne die Miniröcke aus glänzendem Taft und die golden schimmernden Samtjäckchen eines Blickes zu würdigen.
    Mara sagte:
    »Das sind keine Frauen. Sonst würden sie sich auf die Klamotten stürzen. Wie traurig, dass sie niemand will.«
    Nachdem Mara unserem Volk Schande gemacht hatte, schrieb
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