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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde
Autoren: Irena Brezna
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hat nicht einmal diese. Er zeigt allen stumm den Stammbaum. Schlüge er sich auf die Seite der Fremden, würden sie ihm einen bunten Fremdenausweis ausstellen. Doch sein Dünkel lässt es nicht zu, auch würfe dieses Eingeständnis ein anderes Licht auf seine Rückkehr. Die ersehnte Zugehörigkeit wird der Sprachlose trotz des Passes nicht bekommen. Die Beamtin sagt »Heimat« und meint das Land, aus dem er kam. Ich dolmetsche es trocken, als ob ich nicht fühlte, wie ihn die Ausbürgerung schmerzt.
    Nach dem menschlichen Scheitern sucht er einen animalischen Ausweg:
    »Wenn ich mit Kühen, Schafen, Hühnern, Schweinen, Pferden zu tun hätte, würde ich die Tiernamen in Ihrer Sprache leicht lernen.«
    Die Beamtin ruft erschrocken aus:
    »Sie werden es auf dem Bauernhof nicht nur mit Tieren zu tun haben. Die Bauern sind rüde.«
    Der fremde Einheimische lädt mich in seine Wohnung ein, wo auf engem Raum alle Beweise für einen geglückten Einwandererwohlstand versammelt sind: eine schwarze Lederpolstergruppe vor einer Wohnzimmerwand mit Computer, Fernseher und einem Teeservice. Die Ehefrau bietet mir zu Tee und billigen Keksen Geschichten von drüben an, von Hühnern, vom Frühaufstehen, vom zähen Überleben.
    Zum Abschied begleitet sie mich vor die Haustür, wie es der Anstand der Steppe gebietet, und regt sich auf:
    »Wenn ich auf die Straße gehe, höre ich viele Sprachen, sehe fremdartige Menschen. Was wollen die bei uns?«
    Ich schwinge mich auf mein Fahrrad und höre noch:
    »Da fährt sie, die Ausländerin.«
    Um mich ans fremde Klima anzupassen, musste ich Erfahrungen von ganzen Generationen in einer einzigen Lebenszeit bewältigen, die Evolution meiner Art beschleunigen. Ich versetzte mich in Alarm, fuhr alle Antennen aus und startete durch. Mit neuen Kapillaren baute ich Verbindungen aus, fehlende Fertigkeiten und Organe kompensierte ich, indem ich wild herumflatterte. Eine in hohen Frequenzen surrende Zwischenart mit Fühlern rund um die Wespentaille, schnell, noch schneller. Abends sank ich erschöpft ins Träumen über das Unterwegssein, reiste mit einem alten Koffer in Zügen, verlor seinen Inhalt, kaufte mir neue Kleider, wurde bestohlen, stellte den Dieben nach, schlug sie, versöhnte mich mit ihnen, und sie schenkten mir neue Gewänder. Ich brachte die Nächte mit Anprobieren zu, bereitete mich auf große Verwandlungen vor. Wie müßig wäre es gewesen, mich in ein einziges anständiges Kleid hineinzwängen zu wollen. Die Kleiderschränke der Welt standen mir doch offen.
    Ich sagte meinem Wunderdenken Adieu, keine Gemeinschaft, kein höheres Wesen würde mich dorthin tragen, wo ich sein wollte. Ich lernte das Alphabet – dass die Tat A folgerichtig die Lage B hervorruft, dass ich mit C zu rechnen habe, dass G nicht aus Gnade geschieht und falls doch, dann nicht unbedingt mir. Ich fiel auf die Knie, fing an zu robben, stand auf und rannte und fiel und ging weiter. Das Wunderdenken behielt ich nur für die Wunder, und irgendwann hatte ich Flugträume. Ich eignete mir bodenständige Eigenschaften an, gerade so viel, dass sie mich nicht allzu sehr beschwerten, und gewann an Höhe, wurde Überfliegerin, sah Landschaften wie Gärten, überzogen mit elektrischen Spieleisenbahnen, und endlich lachte ich. Als ich es aufgab, mich dazu zu zwingen, hier um jeden Preis landen zu müssen, blieb ich im wohligen Schwebezustand. Aus der Höhe suchte ich die Chiffren zu knacken, gegen die hiesige Leseart zu lesen, zwischen den Zeilen, wie ich es aus der Diktatur gewohnt war. Nein, nicht alles, was ich mitgebracht hatte, musste ich wegwerfen, also doch nicht bei null anfangen.
    Mein Hochseilakt bekam eine Richtung – das Denken hinter jedem Denken zu erforschen. Die vertraute Ganzheit hatte ich unwiederbringlich verloren, doch ich wurde fähig, ein Stückchen Vertrautheit in manch Unvertrautem zu entdecken. Ein neues Kleid würde ich mir zusammenschneidern, ein nie da gewesenes. Noch wusste ich nicht, dass dies machbar war, dass Kulturen farbige Stoffe sind, verhandelbar, dass ich auch Händlerin werden würde, die einkauft und verkauft, die auf einem Basar die Augen offen und nichts für unmöglich hält. Auch den Clan der Fremden musste ich verlassen, um ungehindert denken zu können. Das reine Fremdsein, das ich dann erreichte, wurde vertraute Zuflucht, mehr als das, es wurde zur Wahl. Diesen Denkbeschleuniger wollte ich nie mehr missen.
    Die Sehnsucht nach barocker Nähe zu beliebigen Mitmenschen, nach dicken,
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