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1986 Das Gift (SM)

1986 Das Gift (SM)

Titel: 1986 Das Gift (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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1. Teil - DER PLAN 
1.
    Eine Tür fiel ins Schloß, aber Leo Schweikert zuckte nicht zusammen. Früher hatte er die Menschen seiner Umgebung unter anderem danach beurteilt, wie sie mit Türen umgingen, laut oder leise, ungestüm oder behutsam. Selbst aus den Zwischenwerten hatte er noch charakteristische Nuancen herauszulesen versucht, und immer war ihm das Verhaltene lieber gewesen als das Heftige.
    Nun war er, jedenfalls was den Umgang mit Türen betraf, weit entfernt von so peniblen Unterscheidungen, denn in dem Haus, das ihn seit fast einem Jahr beherbergte, gab es nur Türen aus Eisen, und das Öffnen und Schließen war jedesmal eine geräuschvolle, harte Angelegenheit, grad so wie die Leute, die das besorgten, hart waren und rauh, jedenfalls nach außen hin.
    Er machte das Licht an und zog die Vorhänge zu, so daß die Gitterstäbe vor dem Fenster nicht mehr zu sehen waren. Das über die etwa quadratmetergroße Fläche ausgebreitete Blumenmuster wirkte sehr privat. Es waren Blumen, die es nirgendwo gab, Phantasiegebilde, aber in Violett, und Violett war seine Lieblingsfarbe. Monika, die Freundin Georg Brüggemanns, der im Block B einsaß, hatte den Stoff nach seinen Angaben gesucht, ihn schließlich in einem Lübecker Kaufhaus gefunden und aus dem »lila Fetzen«, wie sie ihn nannte, die Vorhänge nähen lassen. Seitdem prangte an seinem Fenster das Violett, das ihn an die Tropen erinnerte, an BougainvilleaBlüten. Anfangs hatte er andere Vorhänge an seinem Fenster gehabt, beigefarbene Portieren, die zu Hause zwischen Arbeitszimmer und Bibliothek gehangen hatten. Margot, damals noch seine Frau, hatte sie ihm gebracht; aber nach wenigen Tagen hatte er den schweren Samt wieder heruntergerissen und sich ihre Besuche verbeten. Was sollte er mit dieser Frau noch reden? Warum war sie überhaupt gekommen? Mitleid konnte es kaum gewesen sein, eher das Gegenteil, nämlich der Triumph, ihn an diesem Ort der Demütigung anzutreffen.
    Er sah auf die Uhr. Gleich ist es soweit, dachte er. Hoffentlich ist er pünktlich! Falls nicht, hat er seinen ersten Minuspunkt weg. Aber er wird pünktlich sein. Georg hat ihn ausgesucht, hat ihn nach dreiwöchiger Beobachtung aus den sechs BBlock-Häftlingen seiner engeren Wahl herausgepickt und ihn mir schließlich als hervorragend geeignet beschrieben.
    Er setzte sich an den kleinen Tisch, der in der Mitte des Zimmers stand, zündete sich eine Zigarette an und ließ seinen Blick wandern. Was er sah, war die karge, nur durch wenige private Gegenstände ergänzte Einrichtung der Zelle 16 im Block A, die er nun seit dreihundertfünfunddreißig Tagen bewohnte und in vier Wochen zu verlassen gedachte, nicht heimlich bei Nacht, sondern am Tage, durch das große Tor, ganz legal. Der Anstaltsleiter hatte ihm diesen Termin bestätigt.
    Er blickte auf das Bord mit den Tassen und Tellern, die ihm gehörten, mit der Kochplatte, die noch von seinem Vorgänger stammte, mit der Keksdose und einigen Büchern und Zeitschriften. Über dem Bord hing ein Poster, ein Werbeplakat für einen Stierkampf in Sevilla. Oben prangte in großen Buchstaben der Name des Toreros: El Cordobés . Der Kampf hatte vor vielen Jahren stattgefunden, und die Eintrittskarten hatten 150, 200 und 250 Peseten gekostet. Das Plakat hatte ein paar Flecken, die nicht mehr zu entfernen waren. Wahrscheinlich stammten sie von Wasser oder Eau Sauvage , denn gleich daneben befand sich das Waschbecken. Er liebte das Bild, war vernarrt in die straffe, leicht nach hinten gebogene Gestalt des Toreros, die ihm als Symbol erschien für Wachsamkeit, Energie und Kraft. Auch er, Leo Schweikert, war ein Kämpfer, zwar noch leidend unter einer schmählichen Niederlage, aber hinter seiner Stirn war der Gegenschlag längst programmiert.
    Sein Blick ging weiter, erfaßte die Tür, das WC, das Bett, den Schrank. Viel mehr gab es nicht zu sehen in der nur dreieinhalb mal zweieinhalb Meter messenden Zelle. Andere Strafgefangene, die er gelegentlich besuchen durfte, hatten sich geradezu häuslich eingerichtet, mit Fernseher und Stereo-Anlage, mit eigenen Möbeln und zahlreichen Fotografien, aber für ihn war das nicht in Frage gekommen.
    Um Punkt halb acht wurde die Tür geöffnet. Der Aufseher schob Richard Wobeser in die Zelle. Schweikert musterte den Eingetretenen. Der etwa fünfunddreißigjährige große, schlanke Mann gefiel ihm auf Anhieb. Wobeser trug, wie er selbst, keine Anstaltskleidung, sondern hatte schwarze Jeans und einen hellgrauen
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