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1986 Das Gift (SM)

1986 Das Gift (SM)

Titel: 1986 Das Gift (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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er sagte nichts, und so fuhr Paul Wieland fort: »Sie sind daher nicht verpflichtet, mit mir zu reden.«
»Sie geben sich wohl gern geheimnisvoll! Wer oder was sind Sie denn nun?«
»Ich bin Hotelier, also einer der Geschädigten. Als solcher habe ich mich in die Ermittlungen eingemischt. Und da ich Deutscher bin, wenn auch nicht mehr nach meinem Paß, war meine Mitarbeit den hiesigen Behörden willkommen. Ich habe an den Beratungen im Zimmer 1610 teilgenommen, habe das Geld zur FLECHA gebracht, habe mich an der Lagune Chantengo von Ihnen an der Nase herumführen lassen und sie mir dabei fast verbrannt, und ich habe Sie heute nacht festgenommen. Ich bin zwischendurch auch mal kurz in Deutschland gewesen, als Kurier beim BKA in Wiesbaden, und ich habe Herrn Hollmann, Ihren Schwiegervater, kennengelernt.«
Wieder hob Schweikert den Blick, ruckartig diesmal, ja, es schien einen Moment, als wollte er aufspringen; jedenfalls straffte sein Körper sich. Doch dann folgte nur eine Geste der Resignation, ein Kopf schütteln, und schließlich kam die Antwort: »Er ist nicht mehr mein Schwiegervater. Aber was er für mich noch ist und immer sein wird: der Vater allen Übels.«
Wieland nickte. »Ich kenne Ihren Fall. Sie geben Julius Hollmann die Schuld an Ihrer Verurteilung, nicht wahr?«
»Ich gebe sie ihm nicht, er hat sie.«
»Was Sie mit dieser Stadt machen wollten, läßt viel eher den Schluß zu, daß das Üble bei Ihnen zu suchen ist; Skrupellosigkeit zum Beispiel.«
»Ach, was wissen denn Sie davon! Meine Skrupel, die es früher reichlich gab, sind verlorengegangen in dem Maße, wie man mir mitgespielt hat.«
»Okay, Hollmann hat Ihnen also übel mitgespielt. Aber die Mexikaner, was haben die Ihnen getan?«
»Ich sage ja, Sie wissen nichts! Und Sie würden es auch nicht verstehen.«
»Erklären Sie’s mir trotzdem!«
»Wozu?«
»Ich will wissen – und mit mir wollen viele andere es wissen –, ob es vielleicht nur ein Verrückter war, der mit seinen Giftfässern in dieses Land gekommen ist. Ein kranker Mann. Ich glaube fast, daß es so ist.«
»Nein!« Schweikert stand nun doch auf, trat an das kleine vergitterte Fenster, sprach über die Schulter hinweg in den Raum: »Kein Kranker! Ein Geprügelter, der zurückschlug. Ein Verratener, der sich rächte.«
»Ich muß mich wiederholen: Ihre Rache traf die falschen Leute!«
»Das ist oft so im Leben. Als es mich traf, war’s ja auch der Falsche. Ich hätte aber irgendwann den Richtigen getroffen, Hollmann. Um das zu erreichen, brauchte ich Geld, viel Geld. Das habe ich mir geholt, wo es eben zu holen war.«
»Mein Geld war auch dabei, und weil ich es partout wiederhaben wollte, hab’ ich mich eingemischt.«
»Sehen Sie? Ich wollte auch nur wiederhaben, was man mir genommen hatte: mein Ansehen, meinen Beruf.« Er drehte sich um, machte ein paar Schritte, stellte sich mitten in die Zelle, schob die Daumen in den Hosenbund, und so, wie er nun dastand, hatte er die Haltung eines Mannes, der sich anschickt, einen Vortrag zu halten.
»Ich habe«, begann er, »während meiner Haft in Deutschland lange darüber nachgedacht, wie ein Mensch, der zu Unrecht verurteilt wurde, mit sich und seinem Leben wieder ins Lot kommen kann. Und habe herausgefunden, daß er es nur erreicht, wenn er mit der gleichen Kälte und Rücksichtslosigkeit und Menschenverachtung ans Werk geht, mit der man ihn in die Knie gezwungen hat. Wir leben in einer Welt, in der jeder emsig darauf bedacht ist, für sich herauszuholen, was irgend herauszuholen ist. Der Mensch von heute denkt in Bilanzen, und das ist ein untrügliches Anzeichen für moralischen Verfall. Weiter! Es geht nur noch um die Frage, wie wir die Endzeit durchstehen, und damit verändert sich unser Verhalten bis hinein in zwischenmenschliche Beziehungen. Die Erde wird nicht mehr lange existieren, das ist sicher. Ihre Bewohner werden sie zerstören, auf die eine oder auf die andere Weise. Da gibt es die schnelle: Man wird sie sprengen. Und da gibt es die langsame: Man wird rücksichtslos ihre Ressourcen verbrauchen, und dann verödet sie. Die wahrscheinlichere Methode ist die schnelle, weil wir alle Vorarbeiten, die für eine Sprengung nötig sind, schon geleistet haben. Wenn ich einen Berg oder eine Brücke oder ein Haus in die Luft jagen will, bringe ich mein Dynamit an, und dann drücke ich den Hebel oder zünde die Lunte. Die Herrschenden, ob nun in Ost oder in West, haben die Sprengsätze am Objekt angebracht und stehen bereit mit der Lunte
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