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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz
Autoren: Ulrich Ritzel
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Freitag, 18. September 1998
    Es war später Abend. An einem Klapptisch saß ein einzelner Mann, ein leeres Glas vor sich. Im Fernsehen lief ein Boxkampf. Der Empfang war schlecht im Wohncontainer, draußen auf der Baustelle liefen die Starkstromkabel zu nah vorbei. Auf dem Bildschirm bekämpften sich wolkige Ungeheuer.
    Der Mann stand auf und ging zu dem Gerät, das auf einem Rollschrank stand. Er verschob die Antenne. Der Ton brach ab, Waschbrettlinien liefen über den Bildschirm. Schemenhaft tauchten die Ungeheuer wieder auf. Plötzlich war auch der Ton da und das Bild scharf. Der Mann ging zur Holzbank hinter dem Klapptisch zurück und setzte sich wieder.
    Ein untersetzter blonder Bursche, den geröteten Kopf geduckt, die Fäuste hochgezogen, schob sich durch den Ring, drang auf seinen Gegner ein oder versuchte es wenigstens. Aber der hoch gewachsene Russe hielt ihn auf Abstand, linke Geraden durchschlugen die Deckung des Blonden und warfen ihn ein ums andere Mal zurück. Es war erst die zweite Runde, und der Russe hatte noch kaum mit seiner Rechten zugeschlagen.
    Wenn er es tut, ist es aus, dachte der Mann. Ungleicher Kampf. Ein Gong ertönte, die beiden Boxer gingen in ihre Ecken. Auf dem Bildschirm sah man eine Frau beim Haarewaschen. Strahlend hielt sie eine Plastikflasche in die Kamera, als habe sie das Glück gefunden. Offenbar hatte sie Schuppen.
    Der Mann warf einen Blick auf sein leeres Glas. Er zögerte kurz, dann stand er auf, ging in die enge Küche und holte aus
seinem Spind eine Flasche Rotwein. Aus der Schublade des Küchentisches kramte er unter Schlüsseln und schartigen Küchenmessern den Korkenzieher hervor. Von draußen hörte er das ratschende Geräusch, mit dem die Gittertür im Bauzaun geöffnet wurde. Na also, dachte er. Die Disco war ein Reinfall gewesen. So schnell lief das mit den deutschen Mädchen nicht. Er hätte es den anderen gleich sagen können. Er zog den Korken aus der Flasche, goss sich das Glas voll und stellte die Flasche eilig in den Spind zurück.
    Mit dem vollen Glas ging er wieder zum Tisch zurück. Die dritte Runde hatte bereits begonnen, und der Russe machte Ernst. Er setzte die Rechte ein und trieb den Blonden mit wuchtigen Schlägen durch den Ring. Die anderen würden sich beeilen müssen, dachte der Mann.
    Der Russe hatte seinen Gegner an den Seilen gestellt und schlug auf ihn ein wie auf einen Sandsack. Den anderen entging wirklich das Beste. Der Blonde rettete sich zur Seite. Der Russe setzte nach. Draußen zischte etwas, als wäre es ein Feuerwerkskörper. Der Blonde fiel um und lag auf dem Rücken wie ein hilfloser Käfer. Es musste ein rechter Haken gewesen sein, dachte der Mann. Der Schlag war so schnell gekommen, dass man es nicht hatte sehen können. Sie werden ihn in der Zeitlupe noch einmal zeigen. Der Russe hob lässig seine beiden Fäuste. Er hatte seinen Job getan.
    Der Mann nahm einen Schluck aus dem Glas. Als er das Glas absetzte, fiel sein Blick auf das viereckige Fenster über dem Fernseher. Das Fenster war rot erleuchtet, als spiegle sich der Sonnenuntergang darin.
    Aber es war spät in der Nacht.
    Erst jetzt hörte er das Prasseln. Er sprang auf und stürzte zur Tür. Die kleine rautenförmige Glasscheibe zersprang vor ihm in Augenhöhe. Flammen schlugen herein, eine Qualmwolke zur Decke hoch. Der Mann wich zurück und lief in die Küche zur zweiten Außentür.
    Er riss an der Klinke. Die Tür klemmte. Er warf sich dagegen. Nichts rührte sich. Abends war die Küchentür abgeschlossen.
Er hechtete zum Küchentisch und zog hastig die Schublade auf. Sie rutschte aus der Halterung und fiel krachend zu Boden. Das Prasseln wurde stärker. Der Mann kniete auf dem Boden und suchte mit zitternden Fingern unter herausgefallenem Besteck nach dem Schlüssel für die Küchentür. Einer mit verrostetem Bart an einem blank gescheuerten Ring.
    Es waren drei oder vier Schlüssel. Alle waren angerostet. Aus dem Wohnraum hörte er ein Splittern. Plötzlich hatte er den richtigen in der Hand. Er sprang auf und stürzte zur Tür. Das Deckenlicht erlosch. Im Widerschein der Flammen tastete seine Hand nach dem Schlüsselloch, schließlich fand er es, der Riegel schnappte zurück. Er stieß die Tür auf und musste die Arme vors Gesicht reißen. Eine Feuerwand. Er prallte zurück und hastete in den engen Korridor, der zu den Schlafkojen führte. Er stolperte über einen Koffer, raffte sich auf, erreichte das Fenster am Ende des Ganges und riss den Aluminiumgriff zu sich
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