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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz
Autoren: Ulrich Ritzel
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unterbrach, um flehentlich zur Uhr zu blicken. Seine drei letzten Besucher sahen es mit herzloser Rohheit.
    »Nie wieder«, sagte Berndorf und schniefte, »nie wieder werde ich einen Schnaps trinken. Das heißt, von heute Abend an. Von heute Abend an niemals keinen nicht mehr. Keinen Schnaps, keinen Grappa, keinen Whisky. Keusch wie die Bernhardiner werde ich leben.«
    »Aber nicht heute Abend?«, fragte Kuttler. »Sag ich doch. Tonio, noch drei Whisky.« Tonio murmelte etwas, das bitterlich nach Polizeistunde, Lizenz, fortgeschrittener Zeit und den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften zum Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren der Trunksucht klang.
    »Tonio, das oberste Gebot eines deutschen Bürgers ist es«, sagte Tamar streng, »seine Polizei zu lieben, ihr treu zu sein und ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen.«
    Tonio rief mehrere Marien an und brachte drei Whisky. Seit anderthalb Jahren hatte er einen deutschen Pass.
    »Mud in your eyes«, sagte Berndorf und hob sein Glas.
    »Das passt jetzt überhaupt nicht«, sagte Tamar.
    »Ich würde sogar sagen, jetzt passt das überhaupt nicht«, echote Kuttler.

    »Doch«, sagte Berndorf. »Ich werde euch verlassen. Ich werde nicht mehr trinken, ich meine, keinen Whisky und keinen Grappa und keinen Kirsch mehr, und auch keinen von Kastners gebenedeiten Zwetschgenwässern, sondern nur noch Mineralwasser trinken und Malventee wie bei der Evangelischen Akademie, und damit muss ich auch dem Polizistendasein Valet sagen, ein schönes Wort, warum hört man das nicht mehr? Also Valet will ich sagen, denn, wie der Weise sagt, es schadet bei manchen Untersuchungen nicht, sie erst bei einem Räuschchen durchzudenken und dabei aufzuschreiben. Aber da ich fürderhin, auch so ein Wort, keines mehr haben werde, kein Räuschchen mehr, lohnt es das Polizistenleben mitnichten und neffen. Die Räuschchen, meine Lieben, werdet ihr haben, und wenn ihr alles schön aufgeschrieben habt, kommt ihr zu mir und ich werde euch — vielleicht — sagen, was ihr durcheinandergebracht habt. Ich . . .« — er unterbrach sich und zog ein zerfleddertes Lichtenberg-Taschenbuch aus seinem Jackett — »also ich habe meinen Job getan. So, wie es Georg Christoph Lichtenberg in seinem Wort zum heutigen Tage sagt.« Er schlug den Band an einer Stelle auf, die mit einem herausgerissenen Streifen Zeitungspapier markiert war, und las vor:
    »Ich habe einmal in Stade eine Ruhe mit einem heimlichen Lächeln in dem Gesicht eines Kerls erblickt, der seine Schweine glücklich in eine Schwemme gebracht hatte, worein sie sonst ungern gingen, desgleichen ich nachher nie wieder gesehen habe. — Tonio, zahlen!«
     
    Der Mond stand eiern wie ein Rugby-Ball über der Stadt, als drei Gestalten nicht ganz sicheren Schrittes am Justizgebäude vorbeizogen. Die Löwen der Justitia blickten hungrig ins fahle Nachtlicht, aber in dieser Nacht lag nirgends eine Leiche zum Fraß.

Einmalige Sonderausgabe Juli 2006
btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Copyright © 1999, 2000 by Libelle Verlag, Lengwil am Bodensee
Umschlaggestaltung: Design Team München
    Umschlagfoto: Corbis
Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin
MM · Herstellung: AW
     
    eISBN 978-3-641-10485-6
     
     
    www.btb-verlag.de
    www.randomhouse.de
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