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1986 Das Gift (SM)

1986 Das Gift (SM)

Titel: 1986 Das Gift (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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mußt jetzt gehen. Besser, du bist schon weg, wenn sie gleich ihre Runde machen.«
Sie sammelten ihre Marken ein und legten sie in die Kästchen, standen auf, gaben sich die Hand. »Bis morgen!« sagte Schweikert.
»Bis morgen! Und für den Donnerstag laß ich mir die Skatregeln beibringen.«
»Von wem?«
»Ist ’n Kumpel von nebenan.«
»Aber auch für den gehst du nur zum Skat und zum Geburtstag!«
»Na klar!«
Schweikert drückte auf den Klingelknopf und der Aufseher kam. Er ließ Wobeser hinaus und schloß wieder ab.
Schweikert trat ans Waschbecken und schüttete sich kaltes Wasser ins Gesicht. Als er sich abgetrocknet hatte, blickte er lange in den Spiegel. Auf der rechten Wange und unten am Kinn hatte er ein paar Narben. Die waren jetzt schon fünf Jahre alt. Damals war ihm eine Laborpanne unterlaufen, die dem Hollmann-Werk ein neues Produkt und ihm selbst diese häßlichen Verätzungen beschert hatte.
Er trat einen Schritt zurück, strich sich das Haar glatt, legte ein paar Strähnen, die auf die falsche Seite geraten waren, wieder zurecht. Ich seh’ schlecht aus, dachte er; aber das krieg’ ich hin, die Sonne von Acapulco und der Pazifik werden mir dabei helfen.
Er nahm ein Buch vom Bord, legte sich damit aufs Bett, öffnete es. Las: »Ignacioy Esteban son hermanos. Ignaz und Stefan sind Brüder. Sus padres son señor y señora Gómez. Seine Eltern sind Herr und Frau Gómez. La familia Gómez tiene una bonita casa. Die Familie Gómez hat ein schönes Haus.« Als ob ich drüben jemals solchen Blödsinn reden würde! Hab’ denen ganz andere Dinge zu verkünden. Zum Beispiel: »Das Lösegeld muß bis übermorgen abend an Bord sein!« Na ja, Fernando weiß, wie das auf spanisch heißt.
Aber ihm war klar, daß das Lernen ähnlichen Gesetzen unterworfen ist wie zum Beispiel das Häuserbauen, bei dem man ja auch nicht mit dem zehnten Stockwerk, sondern mit dem Fundament beginnt, und außerdem war er ein disziplinierter Mann, und so las er weiter, las und lernte.

2.
    Es war wie an fast jedem Morgen der letzten sieben Jahre: Paul Wieland richtete sich in seinem Bett auf, gähnte, sah verschlafen zu, wie die alte Indianerin durch das halbdunkle Zimmer ging, das Tablett abstellte und den Vorhang zurückzog. Dann traf ihn wie ein Blitz die Sonne.
    »Buenos días, Soledad! «
    »Buenos días, señor!«  Immer war er es, der die älteren unter seinen Angestellten zuerst grüßte. Mit seiner Gewohnheit, ihnen Respekt zu erweisen, traf er sogar den Brauch einer vergangenen Zeit, obwohl der ganz anders zu deuten war: Wer zuerst grüßte, erteilte damit dem anderen die Erlaubnis, sich ihm zuzuwenden und das Wort an ihn zu richten. Indes, von dieser alten Regel wußte Paul Wieland nichts. Er grüßte die zierliche, ergraute Indianerin, die seit langem in seinen Diensten stand, aus Höflichkeit.
    »Hatten Sie eine gute Nacht, señor ?«
    »Ja, danke. Wie läuft es unten? Sind die neuen Gäste mit dem Frühstück zufrieden?«
    »Von den Früchten sind sie begeistert. Und vom Kaffee natürlich. Einer hat zu Manolo gesagt, er hätte in dem großen Hotel an der Costera , wo er vorher gewohnt hat, eine Woche lang jeden Morgen Spülwasser trinken müssen, und der Umzug ins REFUGIO hätte sich allein schon wegen des Kaffees gelohnt. Haben Sie noch einen Wunsch, señor ?«
»Nein. Wie geht es deinen Enkelkindern?«
»Danke, gut. Ricardo ist in ein paar Monaten mit der Schule fertig, Lázaro und Maria Eugenia kommen bald in die Secundaria , und die drei Kleinen von meinem Sohn Ruben in Chilpancingo bringen nur Neunen und Zehnen nach Hause.«
»Du kannst stolz sein auf deine Familie.«
»Das bin ich auch, señor .« Soledad schwieg einen Moment, und dann fügte sie, etwas verschämt, hinzu:
»Lázaro bringt mir jetzt das Lesen und Schreiben bei.«
»Das ist gut. Dann kannst du ja bald die Wäscheliste übernehmen. Sag Manolo, er soll nachher, wenn er das Fleisch holen will, auf mich warten. Ich fahre mit ihm in die Stadt.«
»Ja, señor .«
Die Indianerin verließ das Zimmer. Paul Wieland stand auf und ging ins Bad.
Als er zurück war, öffnete er die Balkontür, stellte das Frühstückstablett hinaus und setzte sich.
Und dann erlebte er, wie so oft am Morgen, eine glückliche halbe Stunde. Er sah, während er seinen Fruchtsalat aus Mango und Papaya, Melone und Ananas aß, seinen Kaffee trank und die erste Zigarette des Tages rauchte, hinunter auf die Bucht von Acapulco.
Seit siebzehn Jahren gehörte sie zu seinem Leben. Damals war
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